13. Woche - Außenposten der M 81-Gruppe – NGC 4236

Wer kennt die eigenartige Galaxie, die heute als AdW präsentiert wird? Es ist NGC 4236 im Sternbild Draco. Hubert Krapfl ist der Bildautor. Er ist neu in der Runde der AdW-Bildautoren, und so heißen wir ihn ganz herzlich willkommen! Aufnahmedatum war der 23.1.2020, Aufnahmeort war Rinegg bei Ranten in der österreichischen Steiermark. Das Aufnahmeteleskop ist inzwischen allseits bekannt: ein Lacerta Fotonewton 250 mm/1000 mm, dazu als Kamera eine Nikon D5100. Die Belichtungszeit betrug lediglich 22 x 150 s bei ISO 800. Die weitere technische Ausstattung: GoTo Montierung EQ6R und ein MGEN 2 als Autoguider, Bildbearbeitung mit Astropixelprocessor. Das Bildfeld beträgt 41' x 26', das Bild zeigt Norden links und Osten unten (Hochformat).
Jetzt zu den astronomischen Fakten. Unsere Lokale Galaxiengruppe hat einen großen Nachbarn: die M 81-Gruppe. Sie lässt sich in drei Einzelgruppen aufteilen: a) die Gruppe um M 81/82 selbst, b) eine etwa 3 Mio. Lj vor und westlich von M 81 gelagerte Gruppe um NGC 2403, die sich auf M 81 zubewegt, c) eine etwa 3 Mio. Lj hinter und östlich von M 81 gelegene Gruppe um NGC 4236, die sich ebenfalls auf M 81 zubewegt. NGC 4236 wurde 1793 von Wilhelm Herschel entdeckt und erscheint auf den ersten Blick als irreguläres Objekt, tiefe Aufnahmen wie das aktuelle AdW zeigen jedoch eine klare Balkenspirale in Schräglage. Auffällig treten in den Außenbereichen einige markante Sternentstehungsgebiete hervor. Daher wird NGC 4236 zu den "Magellanschen Balkenspiralen" gezählt. Deren Prototyp ist die Große Magellansche Wolke, größter Begleiter unserer Milchstraße und erfüllt von sehr vielen Sternentstehungsgebieten. Die Entfernung von NGC 4236 liegt nach Karachentsev et al. (2004) bei 4,45 Mpc (14,5 Mio. Lj), der scheinbare Durchmesser kommt auf 22,6' x 7,2'. Das bedeutet einen wahren Durchmesser von gut 95.000 Lj.
NGC 4236 kann – wie alle Galaxien der M81-Gruppe – mit größeren Teleskopen schon recht gut aufgelöst werden. Wer möchte, kann das Originalbild unseres AdWs herunterladen und an den Pixelkoordinaten (1547/872), (1481/877), (1588/727) und (1462/770) nachsehen: Dort gibt es nach Tikhonov et al. (1991) vier Rote Überriesen mit den Bezeichnungen Nr. 2 (V = 19,72 mag), Nr. 3 (V = 19,44 mag), Nr. 6 (V = 19,92 mag) und Nr. 7 (V = 18,54 mag), die also mit 10 Zoll Öffnung überaus klar nachweisbar sind. An den Enden des Balkens werden einige kräftige H II-Regionen sichtbar. Bekannt wurde die Untersuchung von Paul Hodge und Robert Kennicutt "An Atlas of HII Regions in 125 Galaxies" aus dem Jahre 1983. Am 92-cm-Spiegel des Kitt Peak konnten sie mittels 2 nm breiter Hα-Filterung 19 HII-Regionen in NGC 4236 unterscheiden. Die größten unter ihnen messen 16 Bogensekunden, was schon auf Werte um 1100 Lj hinausläuft. Das riesige Nebelfeld bei (1045/597) beispielsweise hat eine Ausdehnung von 4.500 Lj!!! Was aber am meisten ins Auge sticht: Die HII-Regionen leuchten nicht rot, sondern blau. Hat der Bildautor hier eine nachlässige Bildbearbeitung betrieben? Nein, keineswegs. Das möchte ich jetzt ein wenig näher erklären und damit das Märchen von HII-Regionen, die immer rot sein müssen, beenden.
Extragalaktische HII-Regionen, die um 1000 Lj und größer sind, werden als "giant extragalactic HII regions" (GEHR) bezeichnet. Diese leuchtenden Nebel haben ihren Ursprung – wie nicht anders zu erwarten ist – auch in kürzlich abgelaufenen Sternentstehungen. Prototyp einer GEHR ist der Tarantelnebel 30 Doradus in der Großen Magellanschen Wolke, eine sehr junge HII-Region. Ein Beispiel unseres Nordhimmels ist die HII-Region Nr. 167 in der Galaxie IC 2475, die auch zur M 81-Gruppe gehört. In der Arbeit von Miller B.W., Hodge P.: "Spectroscopy of H II Regions in M81 Group Dwarf Galaxies"; Astrophys. Journal 458, 467-473 (2/1996) ist ein informatives Spektrum abgebildet (hier klicken). Es zeigt, dass eine GEHR im Vergleich zur Hα-Linie bei 656 nm deutlich stärker in [OIII] bei 495 und 501 nm leuchtet. Dazu kommt die Hβ-Linie bei 486 nm, so dass das Hα-Rot von der blaugrünen plus blauen Emission in Summe stark übertroffen wird. Bemerkenswert gering ist übrigens der Anteil an [SII]-Emission (das nur als Hinweis für die Hubble-Palette). Das zusammen bedeutet: Auf Farbaufnahmen werden die sehr jungen, riesigen HII-Regionen blau bis sogar türkisfarben erscheinen - nicht rot. Nicht selten sieht man, dass Astrofotografen ihre Bilder so "bearbeiten", dass die HII-Regionen rot herauskommen (weil es ja so sein muss ... nix da!). Zudem ist noch Folgendes zu bedenken: Eine sehr junge HII-Region beherbergt im Inneren stets sehr heiße, junge und massive O-Sterne. Diese erzeugen im Nebelzentrum nicht nur die starke [OIII]-Linie, sondern sie erzeugen auch eine gewaltige Menge an blauem Licht. Das sorgt für eine zusätzliche Stärkung der Blaufärbung. Sind die HII-Regionen alt, dann haben die massiven O-Sterne ihr Leben ausgehaucht und stehen zur Erzeugung einer übermäßigen Blaustrahlung nicht mehr zur Verfügung. In alten HII-Regionen (z.B. Barnards Loop) überwiegt dann das Rot von Hα, zumal dann, wenn die HII-Region schon merklich expandiert ist und die anregenden Sterne weiter weg stehen.
Anmerkungen: Die Gesamtbelichtungszeit von 55 min erscheint ungewöhnlich kurz. Umso erstaunlicher, was an Tiefe erreicht wurde. Aber das zeigt, dass die modernen CMOS-Sensoren (hier: ein 16,2-Megapixel-CMOS im DX-Format) inzwischen eine Superleistung erbringen. Recht ordentlich ist auch die Auflösung: Im Bild werden ca. 2,2 Bogensekunden erreicht.
Hubert Krapfl einen herzlichen Glückwunsch zum gelungenen Bild und zum Astrofoto der Woche!
Peter Riepe
Bildautor: Hubert Krapfl
Koordinaten von NGC 4236 (J2000):
RA = 12 h 16 min 42 s, DE = +69° 27' 46"
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