20. Woche - EGB 4 – um was für ein Objekt handelt es sich eigentlich?

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Heute zeigen wir als AdW eine sehr tiefe Aufnahme eines selten veröffentlichten Deep-Sky-Objekts. Bildautor Nikolaus Geisriegler ist neu in der AdW-Astrofotografenrunde. Und so begrüßen wir ihn ganz herzlich! Zum Start legt er mit EGB 4 und dessen Umfeld ein Motiv vor, das astrofotografisch schon gehörig schwierig ist. Im Verlauf dieses AdWs wird klar, um was für ein Objekt es sich handelt. Die Sache ist nämlich nicht simpel.
Die Aufnahmeserie zu EGB 4 entstand im Zeitraum Januar bis März 2022 an zwei Orten Niederösterreichs: a) in Gloggnitz, b) St Barbara im Mürztal. Das Teleskop war ein Lacerta Newton ohne Namen mit 250 mm Öffnung und 1000 mm Brennweite. Als Kamera wurde eine QHY 268m eingesetzt. Insgesamt wurde beachtliche 39 h 20 min belichtet, und zwar R: 47 x 240 s, G: 45 x 180 s, B: 44 x 240 s, L: 415 x 90 s + 100 x 180 s, [OIII]: 27 x 420 s, Hα: 75 x 600 s. Die Aufnahme ist also ein LRGB, welches durch Schmalbandaufnahmen verstärkt wurde, um die Gestalt und die möglichst weite Ausdehnung des Nebels deutlich zu dokumentieren. Als parallaktische Montierung wurde eine Skywatcher AZ-EQ6 auf einem Berlebachstativ verwendet. Die Nachführung erfolgte mit einem Lacerta MGEN-2 Autoguider und einem Leitrohr 80 mm/328 mm von TS. Als Aufnahmesoftware setzt unser Bildautor N.I.N.A. ein. Im AdW selbst lässt sich ein Bildmaßstab (engl.: image scale) von 0,775 arcsec pro Pixel ("/px) bestimmen, so misst das hier gezeigte Bildfeld 52,4' x 79,2'. Norden liegt oben und Osten links.
Schauen wir das AdW genau an. Das fragliche Objekt namens EGB 4 ist zweifellos ein Emissionsnebel. Seine Form gleicht einer langgestreckten Parabel, in deren Scheitel ein 13,27 mag heller Stern für die nötige Ionisation des Nebels sorgt. EGB 4 ist aber nicht der einzige Katalogname. Weitere Fachbezeichnungen sind 623+71, PK 144+24°1, BZ Cam und PN G143.6+23.8. Die Bezeichnung 623+71 bezieht sich direkt auf den ionisierenden Stern. Dieser war schon 1981 als kataklysmischer Veränderlicher bekannt und wurde gemäß seinen B1950-Koordinaten bezeichnet: Rekt. = 06 h 23 min und Dec = +71°. Von dem umgebenden Nebel war zu der Zeit noch nichts bekannt. Drei Jahre später erschien eine Publikation von G.L. Ellis, E.T. Grayson, H.E. Bond (1984): "A search for faint planetary nebulae on Palomar Sky Survey prints"; Publ. Astron. Soc. Pac. 96, pp. 283-286. Man suchte also nach Planetarischen Nebeln und taufte das Nebelobjekt entsprechend den Namenskürzeln der "Entdecker" als deren vierten PN, und zwar EGB 4. Planetarische Nebel (PNe) sind leuchtende Gashüllen um heiße Sterne (meistens Weiße Zwerge), die das Gas des PNs zum Leuchten anregen. Eine leuchtende Gashülle liegt auch hier vor, ebenfalls ein ionisierender Stern. Aber die langestreckte Parabelform ist ungewöhnlich für einen PN, da die PNe überwiegend geschlossene runde oder elliptische Formen haben. Halten wir jetzt aber einmal fest: Schon drei Jahre vor Ellison, Gray und Bond war EGB 4 als Veränderlicher bekannt.
Und jetzt noch weiter zurück: Die amerikanischen Veränderlichenbeobachter (AAVSO) haben dem Stern schon zu Zeiten der Koordinaten 1900.00 die Standardbezeichnung für Veränderliche gegeben: BZ Cam (d.h. der Veränderliche BZ aus dem Sternbild Giraffe = Camelopardalis). Dieser Veränderliche bildet also den ionisierenden Stern von EGB 4.
Wir sehen: Deep-Sky-Objekte können verschiedene Katalognamen besitzen. Das hängt einfach nur davon ab, welche Astronomen das Objekt mit welchen Forschungsmethoden untersucht haben (Röntgen-, Infrarot-, Radiowellenlängen, usw.). Und so bekommt das Objekt – wie hier EGB 4 – stets auch andere, zusätzliche Katalogbezeichnungen.
Neu an den Untersuchungen von Ellis, Gray und Bond war, dass EGB 4 mit dem Hinweis versehen wurde: "bow-shock nebula". Das ist ein Nebel mit einer gebogenen Stoßfront. Und am Südrand dieses Nebels, so stand es im EGB-Artikel, sitzt ein 12-mag-Stern. Mit dem Hinweis auf eine spätere Publikation wurde auch erwähnt, dass sich dieser Stern fotometrisch als ein vorher nicht bekannter novaähnlicher Veränderlicher zeigte. Das könnte nahelegen, dass es sich eher um eine Nebelschale handelt, ausgestoßen bei einem Nova-Ausbruch, und nicht um einen PN. Als PN-Freund fragt man sich eh, weshalb der Zentralstern am unteren PN-Rand liegen kann und nicht in der Mitte.
Bald stand EGB 4 im Katalog von Perek und Kohoutek als PK 144+24°1. Im Strasbourg-ESO Catalogue of Galactic Planetary Nebulae wurde er eingetragen als PN G143.6+23.8 (beides also definierte PN-Bezeichnungen). In der Folgezeit haben sich natürlich sofort andere Astronomen auf ein so exotisches Objekt gestürzt. Neue Ideen brachte der Artikel von J. Krautter, U. Klaas und G. Radons (1987): "On the Nature of 623+71: A Cataclysmic Binary Surrounded by a Bow Shock-like Emission Nebula"; Astron. & Astrophys. 181, pp. 373-377. Hierin wurde der Stern 623+71 alias BZ Cam spektroskopisch nicht allein als ausgestoßener Novarest interpretiert. Die Natur als PN sei zwar nicht abwegig – so die Autoren, zumal es andere PNe mit ähnlicher Morphologie gäbe, z.B. Abell 35. Neu war die Feststellung, dass es sich auch um eine Nebelblase handeln könne, erzeugt durch die Sternwinde des Veränderlichen BZ Cam. Der ist übrigens sehr blau (B-V = 0,02 mag). Seine Entfernung (und damit die des Nebels) beträgt gemäß Gaia-Parallaxe 1220 Lj.
Aber wie lässt sich die gestreckte Parabelform des Nebels erklären? Die Stoßfront von EGB 4 kann auch daher rühren, dass der Zentralstern mitsamt seinem ausgestoßenen Nebel durch das interstellare Medium "pflügt" und dabei die kometarische Form bekommt, so wie ein durchs Wasser fahrendes Schiff eine Bugwelle erzeugt. Schaut man sich die Eigenbewegung von BZ Cam an (z.B. in Simbad), dann passt die kometarische Form gut zur Bewegungsrichtung des Sterns. Im Zusatzbild ist der Rotauszug kontrastverstärkt wiedergegeben. Hier lässt sich die Nebelausdehnung in Längsrichtung zu 16,9' messen. Das bedeutet: Bei der oben genannten Entfernung von 1220 Lichtjahren zieht BZ Cam eine Nebelschleppe von immerhin 6 Lichtjahren Länge hinter sich her (das natürlich in Projektion, wir kennen ja nicht den Winkel der Schieflage im Raum).
Neue Publikationen gehen gar nicht mehr auf einen möglichen PN ein, sondern beziehen sich nur noch auf den kataklysmischen Veränderlichen BZ Cam und seine Eruptionen. Das Thema PN scheint erledigt zu sein. Was also haben Ellis, Gray und Bond nach heutigem Wissensstand letztlich entdeckt? Keinen PN, sondern dass ein eruptiver Veränderlicher in einem durch Sternwind erzeugten Nebel steckt. Und der saust durchs interstellare Medium und zieht eine leuchtende Bugwelle hinter sich her.
Was steckt noch an Details im Bild? Zunächst fällt die große Fülle schwacher Nebel auf. Das ist der galaktische Zirrus – hoch über der Milchstraßenebene gelegene Materie aus leichtem molekularem Gas und begleitenden Staubwolken. Diese lichtschwachen Nebel werden vom Licht des Milchstraßenbulge angeleuchtet und werden erst durch sehr lange Belichtungszeiten sichtbar. Im galaktischen Zirrus stecken auch zahlreiche entfernte (hier: kleine) Galaxien. Bitte das Originalbild (Hinweis unten) herunterladen und im Zirrus mal herumsuchen! Eine auffällige Edge-on-Galaxie ist die 2,9' lange UGC 3474. Sie liegt 33' nordöstlich von EGB 4 bei den Pixelkoordinaten (1535/1269). Ihre Hubble-Entfernung beträgt 160 Mio. Lichtjahre. Der helle blaue Stern unten rechts im Bild ist der 6 mag helle HD 44472 mit dem Spektraltyp A4. Er steht weit im Vordergrund.
Anmerkungen: Das vorliegende AdW ist im eigentlichen Sinn ein Falschfarbenbild, weil ja die Originalfarben eines LRGB-Bildes durch Schmalbandfarben verstärkt wurden. Das macht sich aber in einem Himmelsfeld wie diesem kaum bemerkbar, weil es ja weit weg von der galaktischen Ebene liegt und daher keine hell leuchtenden und bekannten Nebel enthält. Dass EGB 4 selbst in verstärkter Farbe hervortritt, fällt nicht direkt auf – erst wenn dieser Himmelsabschnitt zum Vergleich als reines (L)RGB-Bild vorläge.
Das Bild zeigt ein klares Oversampling. Die Sternabbildungen liegen (wenn hier nicht allzu stark geschärft wurde) bei einem FWHM-Wert von 4 px = 3 bis 3,2 Bogensekunden. Dazu ist der Bildmaßstab von 0,775 Bogensekunden pro Pixel überaus fein. Ein 2x2-Binning hätte hier den Vorteil gehabt, das Lichtsammelvermögen pro Bildpixel zu optimieren und damit eine deutlich kürzere Belichtungszeit bei gleicher Deckung zu erreichen. Gerade für die langen Schmalbandfilterungen wäre das vorteilhaft gewesen. Und ein halb so großes AdW in Länge und Breite hätte keine Nachteile gebracht.
Vielen Dank an Nikolaus Geisriegler für dieses gelungene und informative Bild! Und dazu gratuliert das AdW-Team zum Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Koordinaten von BZ Cam (J2000.0):
RA = 06 h 29 min 34 s, DE = +71° 04' 36''
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