32. Woche - Das wechselwirkende Galaxientrio NGC 3169, 3166 und 3165

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Heute zeigen wir als AdW ein Motiv, das man nicht so häufig zu sehen bekommt. Das Galaxientrio NGC 3165/66/69 liegt im Sternbild Sextans, etwa 8,5° südlich von Regulus im Löwen. Bildautor ist Fachgruppenmitglied Jürgen Beisser aus Lilienthal. Er hat an drei Tagen ein traumhaftes Teleskop von der der Telescope Live Einrichtung in Chile gemietet – das ferngesteuerte CHI-3, ein Ritchey-Chrétien-Teleskop von 1 m Öffnung und 6,8 m Brennweite, also mit einem Öffnungsverhältnis von 1:6,8. Das Teleskop der Marke ASA sitzt auf einer azimutalen Montierung derselben Firma. Zwischen dem 1. und 9. März 2022 dieses Jahres kam dann als CCD-Kamera eine FLI PL16803 zum Einsatz. Sie erreicht mit einer Pixelgröße von 9 μm einen Bildmaßstab von 0,273''/px. Als Filtersatz wurde der LRGB Gen 2 von Astrodon verwendet. Die Belichtungszeit war relativ kurz für dieses Öffnungsverhältnis: L, R, G, und B je 3 x 600 s, zusammen also 2 Stunden. Das Bildfeld hat eine Größe von 18,1' x 17,7' und Norden liegt auf 11:30 Uhr.
Was zeigt diese Astroaufnahme im Detail? NGC 3169 und 3166 sind die beiden großen Galaxien in der Aufnahme. Sie bilden ein relativ enges Paar. Wie weit sind sie entfernt? Bei der Messung der Galaxienentfernung ist es normal, dass die Messergebnisse - abhängig von den Messmethoden - durchaus unterschiedlich sind und bisweilen sogar stark schwanken. Hier im Falle von NGC 3169 jedoch ist es extrem, denn die in der NASA Extragalactic Database angegebenen Literaturwerte für die Entfernung haben mit die höchsten Schwankungswerte, die mir (PR) je begegnet sind: Von 12,2 Mpc (40 Mio. Lj) bis 54,1 Mpc (176 Mio. Lj). Das ist ein Faktor von 4,4 in der Streubreite. Am besten ist man beraten, den Mittelwert aller Entfernungsmessungen zu wählen, das ergibt 22,4 Mpc (73 Mio. Lj) für das Galaxienpaar. Aus den Radialgeschwindigkeiten (1232, 1326 und 1332 km/s) errechnet sich für das Trio eine kleinere mittlere Hubble-Entfernung von rund 58 Mio. Lichtjahren. NGC 3169 links der Bildmitte ist als Sternenscheibe mit Spiralarmen nur schwer zu definieren. Zwar besitzt sie um ihren Zentralbereich einen dunklen Rand aus Staub, aber insgesamt ist ihre Spiralstruktur sehr stark gestört. Außerdem wird sie von einer rundlichen, kompliziert aufgebauten Hülle aus lichtschwachen Streamern diffus eingehüllt. All das sind typische Merkmale gravitativer Wechselwirkung mit der Partnergalaxie NGC 3166. Diese liegt etwa 7,7' westlich von NGC 3169, ebenfalls mit einer stark gestörten äußeren Struktur. Die dritte Galaxie des Trios – NGC 3165 – befindet sich 4,7' südwestlich von NGC 3166. An ihr fällt auf, dass sie im Gegensatz zu NGC 3166 und NGC 3169 überwiegend weißbläulich ist und dabei wesentlich kleiner. Schaut man sich das AdW genauer an, so bemerkt man unten links noch einen kleinen, runden lichtschwachen Flecken. Das ist die längst bekannte LEDA 29873, eine kleine Begleitgalaxie von NGC 3169.
Jetzt bitte das Zusatzbild anklicken. Im linken Bildteil wird die diffuse Halo-Struktur um NGC 3169 sehr deutlich. Es handelt sich offensichtlich um eine Mischform von Gezeitenschweifen einerseits und Sternströmen andererseits. Zur Klarstellung: Gezeitenschweife sind Sternmengen, die bei einem nahen Vorübergang (Encounter) zwischen zwei etwa gleich großen Galaxien als Arme oder Büschel herausgezogen werden. Sie beinhalten Sterne, Staub und Gas. Musterbeispiel ist Messier 51, besser gesagt: NGC 5194 und ihr Begleiter NGC 5195. Sternströme hingegen sind lichtschwache bogen- oder streifenförmige Spuren von Zwerggalaxien, die als stellare Reste übrig bleiben, wenn die größere Scheibengalaxie kannibalisch eine sie umkreisende Zwerggalaxie „verspeist“ hat. Sternströme zeigen also den Weg der vertilgten Kleingalaxie(n) an.
Kurz zu den Galaxiengrößen. Aus dem AdW lassen sich im kontrastverstärkten, aufgehellten Bild die scheinbaren Galaxienabmessungen bis in die schwächsten Außenpartien bestimmen: 7' für NGC 3169 und 5,6' für NGC 3166, dagegen nur 1,75' für NGC 3165. Daraus ergeben sich mit Hilfe der o.g. Entfernung wahre Durchmesser von gut 150.000 Lichtjahren für NGC 3169, 120.000 Lj für NGC 3166 und bescheidene 37.000 Lj für NGC 3165. Hier im AdW ist es dem Leser sicherlich schon öfter aufgefallen, dass die in tiefen Amateuraufnahmen vermessenen Objektgrößen erheblich größer sind als die entsprechenden Literaturwerte, die auf alten Messdaten basieren. Mal sehen, wann die Literaturwerte angepasst werden … ;-))) Der gegenseitige Abstand der beiden großen Galaxien zueinander beträgt in Projektion 7,7' bzw. 163.000 Lj. Das ist extrem nahe, wenn man zum Vergleich den Abstand von M 31 zur Milchstraße mit 2,5 Mio. Lj heranzieht. Dieser geringe Abstand von NGC 3166 zu NGC 3169 entspricht dem Abstand zwischen der Milchstraße und der Großen Magellanschen Wolke (LMC). Der Leser stelle sich jetzt vor, welchen Anblick der Südhimmel böte, wenn wir kurz entschlossen die LMC wegzaubern und durch NGC 3166 ersetzen würden ...
Die Umgebung von NGC 3165-69 wurde in einer radioastronomischen Untersuchung bereits 2021 vorgestellt durch K. Lee-Waddell und Kollegen: „Pre-existing dwarfs, tidal knots and a tidal dwarf galaxy: an unbiased HI study of the gas-rich interacting galaxy group NGC 3166/9“; Mon. Not. Roy. Astron. Soc. 427, 2314-2327 (12/2012). In diesem allein auf Radioastronomie und SDSS-Bildern basierten Artikel wurde festgestellt, dass das gesamte Galaxientrio bis weit nach Nordosten hinaus in eine riesige Wolke aus neutralem Wasserstoff HI steckt. Außerdem wurden einige Stellen gefunden, an denen eine stärkere HI-Konzentration das Vorhandensein von zugehörigen Zwergen nahelegt.
Nun zu den lichtschwachen Strukturen im Zusatzbild, rechtes Teilbild. Zwei lichtschwache Galaxien sind in der Nähe von NGC 3166 zu nennen: WISEA J101329.63+032654.6 rechts außen, elliptisch diffus mit Kern und die kleine diffuse WISEA J101341.66+033259.6 (Nr. 10). Daten zur Entfernung gibt es nicht, es bleibt aber aufgrund der Form und der Größe der beiden Objekte zu vermuten, dass es ebenfalls Begleiter im System NGC 3166 und NGC 3169 sind. Von neu entdeckten Galaxien kann aber nicht die Rede sein, es sind lediglich in der Position automatisch registrierte Objekte. Rot eingekringelt folgen nun einige interessante Details, die mit der o.g. Arbeit verglichen werden können. Nr. 1, 2 und 3 liegen eindeutig entlang eines schwachen Streifens. Zwischen 1 und 2 bzw. 3 kann man sogar noch eine extrem schwache Streifenaufhellung mutmaßen. Und genau an diesen drei Stellen wurde von der Astronomengruppe eine stärkere HI-Konzentration nachgewiesen, die sogar in nachfolgenden Arbeiten (2016 und 2018) näher untersucht wurden, sogar noch optisch dazu mit dem Canada-France-Hawaii Telescope. Tatsächlich fand man dort einen optischen Gegenpart, sogar strukturiert – was hier im Bild noch längst nicht aufgelöst ist. Der Knoten Nr. 2 bekam den Namen AGC 208457. Nach der optischen Entdeckung wurde dann NW und SE für den nordwestlichen und den südöstlichen Knoten angefügt, wie im Zusatzbild. AGC 208457 gilt heute als heißer Kandidat für einen „tidal dwarf“, das ist eine neu entstandene Zwerggalaxie in einem Gezeitenschweif.
Der Kringel Nr. 4 zeigt zwei sich schräg kreuzende Spuren. Näheres dazu ist nicht zu finden, denn auf solche Features geht in der Wissenschaft momentan niemand ein. Bei Nr. 5 stellt sich (mir) die Frage: Ist dieser große Knoten eine sehr nahe vorbeiziehende separate Zwerggalaxie oder handelt es sich um einen Teil aus der Armstruktur von NGC 3169? Fragen über Fragen – keine Antwort in der Fachliteratur. An den Stellen Nr. 6 und 7 wurde ebenfalls höher konzentrierter neutraler Wasserstoff gefunden, aber die lichtschwachen Fleckchen fanden noch keine fachastronomische Interpretation. Sehr interessant ist das Detail Nr. 8. Es könnte sich um eine in die Länge gezogene Zwerggalaxie handeln, die künftig bei weiteren Umkreisungen auch ihr kannibalisches Schicksal erfährt. An der mit einem gelben Kreuz markierten Stelle wurde HI in höherer Konzentration nachgewiesen. Diese Stelle wurde als AGC 208535 bezeichnet. Knapp über dem Objekt Nr. 8 erkennt man ein weiteres lichtschwaches Fleckchen. Es gehört sicherlich zu dem Komplex 6, 7 und 8 hinzu.
Anmerkungen: Rein technisch ist nichts an diesem AdW zu kritisieren. Es ist kaum glaubhaft, dass der Himmel von Chile trotz der recht kurzen Belichtungszeiten eine dermaßen lichtschwache „Strukturenlandschaft“ ermöglicht. Vielleicht kann der Bildautor noch einmal nachlegen (???) – das Galaxientrio ist ja äußerst interessant, zumal sich die Forschung gerade erst wirklich damit befasst.
Wir bedanken uns für diese motivmäßig wunderbare und technisch sehr gut umgesetzte Aufnahme. Dazu natürlich die Gratulation des AdW-Teams zu einem sehr int,eressanten Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Jürgen Beisser
Koordinaten von NGC 3169 (J2000):
RA = 10 h 14 min 15,0 s, DEC = +03° 27' 58''
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