33. Woche - NGC 6888 – der Sichelnebel im Schwan

Im AdW 23 dieses Jahres haben wir dieses Objekt schon einmal bewundern können. Im AdW vor 14 Tagen wurde die Gegend um Gamma Cygni vorgestellt, rechts in der oberen Bildecke war ein sichelförmiges Nebelchen erkennbar. Dieser Nebel – als NGC 6888 katalogisiert – wird im aktuellen AdW in einer detailreichen Darstellung präsentiert. Wegen der sichelförmigen Gestalt wird das Objekt im englischsprachigen Raum auch „crescent nebula“ genannt (crescent = Mondsichel). Schauen wir uns das Bild an, so könnte die ovale Blasenform leicht zu der falschen Vermutung verleiten, es handle sich um einen Supernovarest. Hier ist aber kein Stern explodiert, sondern im Nebelzentrum befindet sich der 7,5 mag helle, entwickelte O-Stern HD 192163 vom Spektraltyp WN6. Sein Farbindex B-V beträgt -0,01 mag, mit anderen Worten: der Stern ist sehr blau. Er gehört zur Assoziation Cyg OB1 und besitzt 15 Sonnenmassen, außerdem ist er durch starke Sternwinde charakterisiert. Die Sternwinde sind mit einem stetigen Masseverlust verbunden. Im Fachjargon heißen solche Sterne „Wolf-Rayet-Sterne“. Die Namensgebung geht zurück auf die französischen Astronomen Charles Wolf und George Rayet, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre stellaren Forschungen betrieben.
NGC 6888 wird demnach konsequenterweise als „Wolf-Rayet-Nebel“ bezeichnet. Der innere Bereich ist von filamentösen Strukturen erfüllt, die aber keineswegs statisch sind. Aufgrund des Sternwindes wird NGC 6888 „aufgeblasen“ wie ein Luftballon und expandiert mit etwa 85 km/s. Woher kommen die Nebelmassen? Sie wurden von HD 192163 in einem frühen Materieauswurf erzeugt. Der Sternwind erzeugt Ionisationsfronten, die den Nebel zum Leuchten bringen. Und gleichzeitig kommt Anregungsenergie von der starken UV-Strahlung des Wolf-Rayet-Sterns.
Hier im AdW bewundern wir nicht nur die schönen Bildergebnisse – und fertig. Wir erfahren als Astrofotografen auch, welche Emissionslinien in WR-Nebeln vorliegen. Warum ist das wichtig? Die Emissionslinien bestimmen in ihrer Gesamtheit, welche Farbe ein Nebelobjekt besitzt. Zunächst sind da die bekannten Linien aus der „Balmerserie“ des ionisierten Wasserstoffs: Die rote Hα-Linie bei 656 nm, die blaue Hβ-Linie (486 nm), die violette Hγ-Linie (434 nm) usw. Hβ ist gewöhnlich schon dreimal schwächer als Hα, und Hγ ist noch schwächer. Dann ist da die Doppellinie des zweifach ionisierten Sauerstoffs [O III] bei 495/501 nm Wellenlänge zu nennen, die ja auch in vielen Planetarischen Nebeln vorkommt. Sie hat in WR-Nebeln durchschnittlich etwa 20 – 80% der Intensität von Hα. Das gilt auch für NGC 6888, jedoch ist [O III] an einigen wenigen Stellen (so am Außenrand) stärker als Hα. Aufgrund der insgesamt starken [O III]-Emission ist NGC 6888 visuell wunderschön zu beobachten, ab 150 mm Öffnung und bei dunklem Landhimmel sogar bereits ohne Filter. Desweiteren ist die [S II]-Linie des ionisierten Schwefels zu nennen. In Supernovaresten ist diese Doppellinie bei 672/673 nm sehr stark und kann – wie im Krebsnebel – die Intensität der Hα-Linie übertrumpfen. In NGC 6888 ist [S II] im Nordostbogen am stärksten, erreicht dort aber nur maximal 15% der Hα-Intensität (R.A.R. Parker, 1995). Was aber etliche Astrofotografen kaum kennen (und ich wiederhole das in den AdWs immer wieder mit Gelassenheit): Jeder gewöhnliche Hα-Filter lässt nicht nur Hα-Licht durch, sondern auch direkt „links“ und „rechts“ neben Hα das Licht des ionisierten Stickstoffs [N II] bei 655/658 nm. Die Rotfärbung eines Emissionsnebels ist also nicht allein durch Hα vorgegeben, sondern auch durch [N II]. Der Hα-Filter von 5 nm Halbwertbreite und mehr sollte konsequenterweise (wie es die Profis immer schon machen) als Hα+[N II] bezeichnet werden. Und zum Beweis: Das Licht des Stickstoffs ist im Nordostbogen von NGC 6888 teilweise 60% stärker als das Hα-Licht (R.A.R. Parker, 1995). Demnach wäre es falsch, hier von einer Hα-Struktur zu sprechen!
Jetzt wieder mein scheinbar aussichtsloser, aber geduldiger „Kampf gegen die Windmühlen“: Alle sog. „verbotenen Emissionslinien“ werden in eckige Klammern gesetzt, also: [S II], [N II], [O III] usw. Bitte nicht S II oder O III schreiben, auch nicht O [III] und erst recht nicht S2 oder O3. In den Prospekten der Astro-Händler erlebt man solche Fehler leider fast generell, tja …
Wir begrüßen Jens Zippel ganz herzlich. Er ist neu im Kreis der AdW-Astrofotografen und stellt sein Bild als Erstaufführung hier bei uns vor. Die Einzelaufnahmen entstanden am 2., 4. und 7. Juli 2015. Aufnahmeort war Bremen, Borgfeld. Mit einem Apochromaten 107/700 mm (Marke APM) und einer CCD-Kamera Atik 460 EXM wurde folgendermaßen belichtet: Hα+[N II] 13 x 20 min, [O III] 13 x 20 min, [S II] 3 x 10 min (2-faches Binning). So kam eine Gesamtbelichtung von 9,2 Stunden zustande. Bemerkenswert! Unsere Gratulation!
Bemerkung des Bildautors: „Es handelt sich um einen Detailausschnitt des ursprünglich viel weiteren Feldes in der Originalaufnahme. Die Auflösung der Aufnahme ist so gut, dass die Details trotz über 60% Vergrößerung hier immer noch sehr gut herauskommen.“
Text zum Objekt und Aufnahmedaten: Peter Riepe
Die Belichtung durch Schmalbandfilter eröffnet dem Astrofotografen die Möglichkeit, der Lichtverschmutzung und auch dem Mondlicht eine gehöriges Schnippchen zu schlagen. Ganz lassen sich die störenden Lichter damit zwar nicht unterdrücken, dennoch sind über die üblicherweise genutzten Hα-, [OIII]- und [SII]-Filter z.B. in der Zuordnung Grün, Blau und Rot (Hubblepalette) tiefe und betörend schöne Astroaufnahmen möglich. Gelegentlich ist die Farbzuordnung aber nicht betörend, sondern verstörend, während die Sternfarben in Richtung weiß vereinheitlicht erscheinen.
Jens Zippel hat bei seinem NGC 6888 dem Licht der verbotenen Sauerstofflinie [OIII] sehr viel Luminanz eingeräumt, dennoch die Balance mit Rot und Grün gehalten, so dass ein echter Hingucker dieses Wolf-Rayet-Nebels entstanden ist.
Bildtechnischer Kommentar zum AdW: Dr. Stefan Binnewies und Frank Sackenheim
Koordinaten J2000.0:
RA = 20 h 12 min 06 s, DE = +38° 21’ 18”
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