38. Woche - Sh2-101, eine HII-Region im Sternbild Schwan
Inmitten der hellen Milchstraßenwolke des Schwans liegt der 3,9-mag-Stern Eta Cygni. Etwa 45' östlich von ihm befindet sich ein etwa 20' großer leuchtender Emissionsnebel, der im zweiten Sharpless-Katalog als Nr. 101 geführt wird. Diese HII-Region Sh2-101 besticht durch ihre Form und ihre Struktur. Das AdW zeigt im 1° x 0,8° großen Bildfeld (Norden Oben, Osten links) eine halbmondförmige Gestalt, die an den Kelch einer Blume erinnert, daher auch der populäre Name „Tulpennebel“. Der runde Rand ist vorzüglich aufgelöst und formt einen „bright rim“, d.h. einen hellen Rand mit dominierender Hα-Emission. Und natürlich gibt es eine anregende UV-Quelle, den Riesenstern HD 227018 (Spektraltyp O6.5) bei den Pixelkoordinaten 1718/1446. Dieser Stern von 9 mag erscheint wenig spektakulär, da er von umgebendem Staub stark gerötet und geschwächt wird. Dennoch sehen wir knapp westlich von ihm einen bogenförmigen Reflexionsnebel, der durch die starke Kollision (engl. shock) des ausgestoßenen Sternwindes mit der umgebenden interstellaren Materie entstanden ist. Ein Hinweis an die Astrofotografen: das Licht blauer Reflexionsnebel wird auch von [OIII]-Filtern durchgelassen.
Die „bright rims“ sind immer mit Molekülwolken verknüpft. So verwundert es nicht, dass am runden Rand von Sh2-101 (da, wo bei der Tulpe der Stiel ansetzen würde) eine verästelte Dunkelwolke liegt, die sich nach Osten bis Süd ausdehnt. Hier beginnt die Molekülwolke Dobashi 2225. An dem bright rim von Sh2-101 wird diese Molekülwolke unter Bildung neuer Sterne im Laufe der Zeit regelrecht zerfetzt. Sie ist laut Stark & Brand (1989) ca. 2500 pc entfernt (ca. 8150 Lj). Georgelin & Georgelin (1970) geben für Sh2-101 selbst 2700 pc an.
Auch im linken Bildbereich sind bright rims zu sehen, assoziiert mit schwächeren HII-Gebieten, von denen der Schwan bekanntlich voll ist. Gerade im Zentralgebiet des Sternbildes gibt es viele dieser unbekannteren Emissionsnebel. Dickel, Wendker und Bieritz haben sie 1969 katalogisiert, darum nennt man sie auch gern DWB-Nebel. Und noch ein weiteres, wenig beachtetes Objekt ist im AdW versteckt. Am rechten Bildrand erkennt man bei den Pixelkoordinaten 2580/1175 den hellsten, angeschnittenen Teil eines blauen, sehr lichtschwachen Nebelbogens. Er wird von einem Radio-Jet der Röntgenquelle Cygnus X-1 verursacht. Cygnus X-1 ist identisch mit dem Veränderlichen Stern V1357 Cygni, einem Röntgendoppelstern hoher Masse. Mit einer sehr tiefen Aufnahme (Hα und auch [OIII]) wurde über diesen optisch nachweisbaren Nebel im VdS-Journal für Astronomie (Heft 48) berichtet. Cygnus X-1 selbst ist im AdW bei den Pixelkoordinaten 2553/1643 zu sehen.
Frank Iwaszkiewicz und Jens Zippel sind die Autoren dieses Gemeinschaftsbildes. Die Teilaufnahmen entstanden am 2., 3. und 5. August 2015 (Zippel) sowie am 21., 24., 25. und 27. Juli 2016 (Iwaszkiewicz). Aufnahmeorte waren Bremen und Eggersdorf. Als Optiken kamen zum Einsatz: ein 10-Zoll-Newton (TS ONTC f/4) sowie ein Apochromat 107 mm/700 mm (APM). Dazu wurden als Kameras eine Atik383L+ sowie eine Atik 460Exm benutzt. Im jeweiligen Fokus wurden insgesamt 27 Stunden für Hα, [OIII] und [SII] aufgewendet. Eine bemerkenswerte Leistung!
Text zum Objekt und den Aufnahmedaten: Peter Riepe
Das heutige AdW zeigt uns erneut das Ergebnis einer erfolgreichen Kooperation zweier Astrofotografen. Frank Iwaszkiewicz fotografierte Sh2-101 aus Eggersdorf bei Berlin und Jens Zippel erstellte seine Aufnahmen vom Stadtrand von Bremen aus. Die beiden Astrofotografen vereinbarten, ihre Bilder zusammenzufügen und erreichten so eine ausreichende Belichtungsdauer, um dieses sehr ansprechende und tiefe Bild zu erstellen. Es handelt sich um schmalbandig gefilterte Aufnahmen, die anschließend gemäß der Hubble-Palette bearbeitet wurden. Die Zuordnung der Filter zu einem bestimmten Farbkanal bezeichnet man dabei als Tonemapping.
Die Hubble-Palette erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit, obwohl in den letzten Jahren auch noch andere Farbzuordnungen populär geworden sind. Bei den Emissionsnebeln zeigt die Hubble-Palette allerdings die deutlichsten Farbkontraste, was ihre weite Verbreitung rechtfertigt.
Kontrast wurde in diesem Bild auf zweierlei Art und Weise erzeugt. Zum einen wurden die Farben (hier insbesondere Blau und Orange) in ihrer Sättigung kräftig angehoben, zum anderen wurden Details im Bild leicht geschärft und damit Kanten und Intensitätswechsel betont. So entsteht der plastische Bildeindruck, der dieses Bild zweifelsohne ganz besonders auszeichnet. Der Tulpennebel kommt hier in einer selten gesehenen Qualität daher, herzlichen Dank dafür den beiden Bildautoren.
Kommentar zum Bild: Frank Sackenheim und Dr. Stefan Binnewies
Koordinaten (Epoche J2000.0):
RA = 19 h 59 min 55 s, DE = +35° 16' 36"
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