4. Woche - Ein Panorama aus dem Cepheus Flare

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Das heutige AdW zeigt ein Motiv aus dem Sternbild Cepheus: Zwei bekannte kometarische Nebel aus einer Region, die reich an Staub- und Molekülwolken ist und einem Gebiet angehört, das in der astronomischen Fachwelt „Cepheus Flare“ genannt wird. Auf die beiden Nebelfahnen mit den kleinen blauen Reflexionsnebeln wird weiter unten näher eingegangen. Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist der ziemlich große Bildwinkel von 3° 57' x 4° 53' (Hochformat). Norden ist oben, Osten links. Bildautor Matthias Kranich legt zu unserer Freude nach langen Jahren wieder ein AdW vor, ein Mosaik aus zwei Einzelbildern, aufgenommen in der Sternenwelt Vogelsberg im Zeitraum August bis Oktober 2021. Aufnahmeteleskop war ein Takahashi FSQ 106 EDX III mit 380 mm Brennweite und mit 0,72-fachem Reducer Takahashi 645 QE auf einer Montierung 10Micron GM2000HPS II. Als Kamera wurde eine CCD-Kamera FLI MicroLine ML 16200 von Finger Lakes Instrumentation mit Filterrad eingesetzt. Die verwendeten LRGB-Filter (2 Zoll) stammen von Baader. Das nördliche Bild wurde 160 x 10 min belichtet, das südliche 158 x 10 min – alles ohne Autoguiding. Software: Adobe Photohop 2020, PixInsight und Cyanogen Imaging Products MaxIm DL.
Jetzt zu den im Bild sichtbaren Objekten. Der Reflexionsnebel im Nordteil des Bildes wird gern als „Shark Nebula“ (Haifisch-Nebel) bezeichnet. Sein linker Teil erinnert tatsächlich an ein geöffnetes Haifischmaul. Völlig falsch ist es aber, diesen großen Nebel als vdb 150 zu bezeichnen. In seiner Arbeit „A study of reflection nebulae“ hat Sidney van den Bergh (daher auch vdB und nicht VDB) die kleinen blauen Reflexionsnebel untersucht, die von blauen Sternen beleuchtet werden (Astron. Journal 71, 990-998, 1966). Demnach ist vdB 150 der obere kleine Nebel von etwa 11' Länge, also nur die Hai-Rückenflosse, aber keinesfalls der gesamte mehr als 2,8° lange Haikörper. Beleuchtet wird vdB 150 von HD 210806, einem 8,35 mag hellen, blauen Stern des Spektraltyps B8IV. Am „Haifischbauch“ ist ein zweiter blauer Reflexionsnebel von 6,5' Ausdehnung sichtbar. Das ist vdB 149. Er wird von dem 9,79 mag hellen B8V-Stern BD+72°1018 blau angeleuchtet.
Der Haifisch ist ein typisches Beispiel für die vielen lichtschwachen Nebel, die sich erst durch lange Belichtungszeiten als große, zusammenhängende, helle Nebel mit teilweise markanten Strukturen herausstellen. Insofern trägt er – wie alle diese lichtschwachen Dunkelnebel – keine der bekannten Katalognummern. Noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatte man die komplette Haiform nie gesehen, sondern nur die hellsten Bereiche. Nur diese waren auf dem Palomar Observatory Sky Survey (POSS) nachweisbar und erhielten dann eigene Katalognummern (siehe Zusatzbild aus dem Himmelsatlas Aladin). Von der „Haifischnase“ war damals nur der dunkelste Teil als LDN 1235 katalogisiert worden. Die kleinen blauen vdB 149 und 150 wurden auch nicht als hellste Bereiche eines ausgedehnten Nebelkomplexes mit der Gestalt eines Haifisches erkannt, sondern sie wurden als separate Nebel angesehen und erhielten von daher eigene Katalognamen. Der gesamte helle Bauch des Haifisches war nicht als zusammenhängende Nebelzone erkannt worden. Daher wurde z.B. der Bereich um den Veränderlichen DM Cep als Reflexionsnebel LBN 541 und DG 177 katalogisiert. Heute zeigt der Amateur den Profis, dass man durch passende Langzeitbelichtungen schwächste neue Strukturen auffinden kann. Profis erhalten an den Großteleskopen für solche Projekte keine Beobachtungszeit.
Etwas tiefer steht der zweite Nebel mit kometarischer Form. Er erstreckt sich zunächst ca. 55' nach Norden und knickt dann mit mindestens 135' Länge nach Nordwesten ab. Auch dieser Nebel wird gern falsch benannt als vdB 152. Aber was ist denn dann vdB 152 eigentlich? Der Leser ahnt schon: vdB 152 ist nur der kleine hellste Bereich an der südlichen Spitze des kometarischen Nebels, so wie oben für vdB 149 und 150 beschrieben. Dieser Nebel wurde auch von anderen Astronomen untersucht und katalogisiert. Der schwedische Astronom S. Cederblad etwa publizierte bereits 1946 den Nebel als Nr. 201 in seinem Nebelkatalog, als der vdB-Katalog noch gar nicht existierte, daher auch die Bezeichnung Ced 201. Zwei Jahre nach van den Bergh veröffentlichten die russischen Astronomen D.A. Rojkovskij und A.V. Kurchakov „The catalog of the reflection nebulae“. Seitdem sind vdB 149, 150 und 152 zusätzlich als [RK68] 115, 116 und 117 bekannt. Unabhängig von den Forschernamen: in Ced 201 = vdB 152 = [RK68] 117 sitzt der B9-Stern BD+69°1231 mit 9,3 mag. Über seine Eigenbewegung konnte man berechnen, dass er vor etwa 30.000 Jahren per Zufall in die Staubwolke eingetreten ist (Witt et al., 1987) und sich momentan gerade auf dem „Durchmarsch“ befindet. Seitdem erst leuchtet vdB 152. A.F. Aveni & J.H. Hunter (1972) leiteten für den Stern – und damit auch für die Nebelregion – eine Entfernung von 1300 Lj ab.
J. Bally und B. Reipurth (2001) fanden am 90-cm-Teleskop des Kitt Peak Observatory fotografisch heraus, dass südöstlich von vdB 152 einige schmale Filamente in Hα und [SII] leuchten. Im AdW sind diese zarten Filamente nicht sichtbar, die Auflösung von 5 bis 6 Bogensekunden gibt es nicht her. Weiter nach Norden jedoch erkennt man bei den Pixelkoordinaten (880/2970) die hellsten Partien eines breiten roten Streifens, der nach Nordosten verläuft. Dazu am besten das Originalbild herunterladen und hineinzoomen. Es handelt sich um den Supernovarest SNR G110.3+11.3. Rund 20' nördlich davon ist bei (889/2722) ein Schimmer aus Blau und Rot sichtbar: der PN DeHt 5 bzw. PN G111.0+11.6. Ob dies aber ein „echter“ Planetarischer Nebel ist, wird angezweifelt (Frew et al., 2013 und B. Balick, M.A. Guerrero, G. Ramos-Larios, 2021).
Noch eines fällt mir im Bild auf. Obwohl der Cepheus Flare für seine Galaxienarmut bekannt ist, sind im AdW drei kleine Hintergrundgalaxien sichtbar. Bei (2214/878) liegt UGC 11861, sie kommt auf eine Hubble-Entfernung von 66 Mio. Lj. Bei (2792/1438) ist UGC 11818 zu sehen, mit 107 Mio. Lj steht sie noch weiter weg. Und bei (2011/1917) befindet sich die etwa 112 Mio. Lj entfernte 2MASX J22010637+7156385.
Anmerkungen: Das AdW ist nach meinem Geschmack überwältigend, was die Fülle und Struktur der Nebel betrifft. Allerdings gibt es im Internet andere Aufnahmen bekannter Astrofotografen, die ein wenig mehr Rot in die Nebelfarben bringen. Hier empfinde ich einen leichten grünlichen Stich. Aber Empfindung hin und her: Der Chip der FLI MicroLine ML 16200, ein ON Semi KAF-16200 Front Illuminated CCD, hat seine Maximalempfindlichkeit bei 550 nm und kommt dort auf 58% Quanteneffizienz (QE). Bei 656 nm (Hα) geht die QE auf etwa 47% zurück, für Hβ (486,1 nm) sind es 55%. Das ist zur Aufzeichnung von ionisiertem Wasserstoff im Hα-Licht nicht so günstig. Das dürfte auch der Grund dafür sein, weshalb der Supernovarest SNR G110.3+11.3 trotz der langen Belichtungszeit von 26 h 20 min nicht so gut herauskommt.
Rein technisch ist die Aufnahme sehr gut umgesetzt. Einen herzlichen Dank an Matthias Kranich und die Gratulation des AdW-Teams zum Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Matthias Kranich
Koordinaten (J2000) für vdB 152:
RA = 22 h 13 min 25 s, DE = +70° 15' 05''
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