4. Woche - Simeiz 22, ein merkwürdiger Planetarischer Nebel

Rund 1,9° südöstlich des Sterns Delta Cassiopeiae liegt ein Emissionsnebel, der bereits für Verwirrung gesorgt hat. Das Objekt ist bekannt als Simeiz 22 oder auch Sharpless 188. Die Entdeckung geht auf Gaze & Shajn zurück. Die beiden russischen Astronomen publizierten 1951 einen Emissonsnebel-Katalog, darunter auch das hier jetzt vorgestellte Objekt Nr. 22. Der Simeiz-Katalog ist übrigens nach dem Simeiz-Observatorium auf der Krim benannt. Auch Steward Sharpless arbeitete – unabhängig von den beiden Russen – an Emissionsnebeln und nahm den bogenförmigen Nebel als Objekt Nr. 134 in seinen ersten Katalog von 142 Nebeln auf. Das war 1953, also zwei Jahre nach Gaze & Shajn. In seinen Notizen merkt Sharpless jedoch fairerweise an, dass sein sichelförmiger, filamentöser Nebel Nr. 134 schon als S 22 bekannt ist. Im zweiten Katalog von 1959 mit nunmehr 313 galaktischen Nebeln ordnet Sharpless dann seinen ursprünglichen Nebel Nr. 134 als Nr. 188 an, daher Sh2-188. Diese häufig gebrauchte Bezeichnung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entdecker und eigentlichen Namensgeber dem Observatorium auf der Krim angehörten. Wir bleiben also konsequent beim Namen, den die Entdecker ihm gaben: Simeiz 22.
Simeiz 22 – was ist das nun für ein merkwürdiges Objekt? Schauen wir uns das aktuelle AdW an (Norden oben, Osten links). Der hier gezeigte Ausschnitt aus dem Originalbild beträgt 51´ x 34´. Man erkennt einen etwa 10´ durchmessenden Gasbogen mit strukturiertem Innenbereich. Die größte Helligkeit ist im Südosten. Zoomt man ins Bild (dazu herunterladen!), so wird ein schwacher blauer Stern an der Pixelposition (934/788) erkennbar. Das ist der Zentralstern – ein "blauer Weißer Zwerg" mit der Bezeichnung WD 0127+581. Interessant ist die invertierte und kontrastverstärkte Version des Rotkanals (hier klicken). Eindeutig bildet der Nebel auch im schwachen Nordwesten einen geschlossenen Ring. Sehr schwach mag man erahnen, dass sich der Emissionsbereich nach Nordwesten diffus fortsetzt. Was diese Nebelform als Ganzes angeht, so könnte es sich bei Simeiz 22 um einen Supernovarest, um eine blasenförmige HII-Region, einen Wolf-Rayet-Nebel oder um einen alten Planetarischen Nebel (PN) handeln. Richard Tweedy und Karen Kwitter entschieden sich 1996 für einen alten, ausgedehnten PN. Warum? Einerseits bemerkten sie den blauen Zentralstern. Das passt nur zu einem PN. Ferner machten sie aber auch tiefe Aufnahmen in Hα, [NII] und [OIII]. Dabei stellte sich heraus, dass [NII] wesentlich stärker als Hα ist, [OIII] dagegen viel schwächer. Bereits 1971 konnten Lozinskaya & Esipov nachweisen, dass für Simeiz 22 Hα im Mittel nur 20% von [NII] beträgt. Die rote Farbe rührt also im Wesentlichen vom ionisierten Stickstoff her, nicht von Hα! Erstmals sprachen die beiden Astronomen auch über eine schweifförmige Fortsetzung des Nebels nach Nordwesten, 30-mal schwächer in Hα als der helle Südostbogen. Dieser Schweif ähnelt auf sehr lang belichteten Aufnahmen einem Kometenschweif. Das deutet sich im AdW aber nur extrem schwach an. Tweedy & Kwitter sprechen von einem "wechselwirkenden PN", sein expandierendes Material stößt mit dem umgebenden interstellaren Material zusammen. Den Schweif interpretieren sie aber als nach Nordwesten ausgeworfene Materie. Als Distanz für den V = 17,44 mag schwachen Zentralstern geben sie 600 pc an.
Auch andere Astronomen bezeichnen Simeiz 22 als "interacting PN". Nach Giammanco et al. (2011) ist der PN weniger als 1000 pc entfernt. Die spannendste Forschungsarbeit aber stammt von C.J. Wareing et al. (2006). Danach ist der Schweif nichts anderes als altes Gas, das aus der Zeit vor der Phase als Weißer Zwerg stammt und das der PN beim Durchqueren der interstellaren Materie wie eine Schleppe nach sich zieht. Als Distanz zum Zentralstern werden 850 pc angegeben, das Alter soll ca. 22.500 Jahre betragen. Und höchst interessant: Der Zentralstern bewegt sich mit 30+-10 Millibogensekunden pro Jahr in Richtung Südosten, was einer wahren Geschwindigkeit von 125 km/s entspricht. Es scheint also zu passen: der Südostbogen stellt die hellere Stoßfront dar, die der PN mit der umgebenden interstellaren Materie bildet.
Peter Knappert ist wieder aktiv! Er nahm dieses selten gezeigte Motiv am 15.11.2015 auf, Ort war Villingen-Schwenningen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Aufnahmeoptik war ein Apochromat TMB 105 mm / 648 mm (also Blende 6,2). Mit einer CCD-Kamera Moravian G2-8300FW wurde folgendermaßen belichtet: 4 Stunden Luminanz ohne Binning, 7 Stunden Hα + [NII] (Peter, so schreibe ich das einmal für Deinen 6-nm-Filter, ja? Rot stammt bei diesem PN im Wesentlichen nicht von Hα, sondern von [NII]), dann noch 4 Stunden RGB mit 2-fachem Binning. Als Software wurde CCDStack2 und CS4 verwendet.
Text zum Objekt und Belichtungsdaten: Peter Riepe
In der Fotografie vermeidet man es oft, ein Objekt genau in der Bildmitte zu positionieren, was den Bildeindruck steigern soll. Stattdessen orientiert man sich an der Zwei-Drittel-Regel, bei der ein Bildfeld durch zwei gedachte horizontale und vertikale Linien unterteilt und das Objekt der Begierde auf einen der vier Schnittpunkte platziert wird.
Nun gibt es in der Fotografie mehr als eine Regel, um eine starke Bildkomposition zu erreichen. Und auch auf das Zentrum ausgerichtete Bilder sind geeignet, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Peter Knappert macht es vor – durch das Beschneiden des mit nicht sehr langer Brennweite aufgenommenen Ausgangbildes stellt er den eher kleinen Simeiz 22 groß und mittig vor unsere Augen. Und auch wenn dadurch keine bessere Detailauflösung erreicht wird – der Blick fokussiert sich auf den PN, dieses Bild bleibt in Erinnerung.
Zum Schluss noch ein kleiner Tipp für Astrofotografen: Probiert auch ruhig einmal die Filterung in [SII]. Die Emission des ionisierten Schwefels erreicht bei Simeiz 22 etwa 90% von Hα.
Kommentar zum Bild: Frank Sackenheim und Dr. Stefan Binnewies
Koordinaten (J2000): RA = 01 h 30 min 33 s, DE = +58° 24' 51''
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