43. Woche - NGC 7635 – eine Gasblase um einen jungen, massereichen Stern

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In der Cassiopeia, nahe der Grenze zum Cepheus, findet der Beobachter den Emissionsnebel NGC 7635, wegen der enthaltenen Blasenformation auch „Bubble Nebula“ genannt. Entdeckt wurde das Deep-Sky-Objekt bereits 1787 durch F.W. Herschel. Wolfgang Voigt, Mitglied der Fachgruppe Astrofotografie, reichte dieses schöne Bild von NGC 7635 und seiner näheren Umgebung ein. Aufnahmeort war Neu-Anspach, Aufnahmedatum der 7. September 2020. Verwendet wurde ein Takahashi Epsilon 130 ED (130 mm/430 mm), dazu eine Farbkamera ZWO ASI2600MC. Der Bildautor schreibt als Anmerkung: „In meinem Garten in dem Städtchen Neu-Anspach ca. 20 km nordwestlich von Frankfurt am Main entstand dieses Foto. Der Filter L-eNhance von Optolong – ein Dual-Bandpassfilter – kam zur Anwendung, um das Störlicht von Straßenlampen zu eliminieren.“ Belichtet wurde 150 x 120 s = 5 Stunden. Das Bild zeigt Norden etwa oben, Osten links. Das Bildfeld hat eine Ausdehnung von 3,1° x 2,1°. Die Bildfeldgröße beträgt 3,1° x 2,1°. Noch einmal Wolfgang Voigt: „Die Bildbearbeitung mache ich mit PixInsight (PI) und halte mich im Wesentlichen an das Buch von Warren A. Keller 'Insight PixInsight - 2. Auflage'. Darin ist auf Seite 266 ein Workflow zur Arbeit mit PI abgebildet.“
Was zeigt das AdW an Objekten? Dazu bitte das Original herunterladen, dann kann jeder die Details besser verfolgen. Zunächst zu den Emissionsnebeln. Oben halbrechts liegt bei den Pixelkoordinaten (4570/795) NGC 7538 = LBN 542 = Ced 209 = SH 2-158. Sein scheinbarer Durchmesser erreicht 10,4' Länge. Der Nebel ist durchzogen von zahlreichen Gasbögen. In NGC 7538 bemerkt man zwei etwa gleich helle Sterne mit V ~ 11,6 mag. Sie sind in Wirklichkeit aber unterschiedlicher als man sich das denken könnte. Der nördlichere ist TYC 4279-1349-1. Er hat als kühler Stern (Spektraltyp K) nichts mit der Nebelanregung zu tun. Sein Farbindex beträgt B-V = 2,86 mag, er sollte also im freien Raum knallig orange wirken. Der südlichere der beiden Sterne ist TYC 4279-1463-1, ein Doppelstern (Spektraltypen O3,5V + O9,5V). Beide Komponenten sind also eigentlich satt blau, ihr gemeinsamer Farbindex ist aber mit B-V = 1,10 mag gelb. Diese so genannte „Rötung“ wird durch die umgebende interstellare Materie bewirkt. Dieser heiße Stern von nur wenigen Millionen Jahren Alter liefert die maßgebliche Energie an NGC 7538, der dann als Emissionsnebel leuchten kann.
Links oberhalb von NGC 7538 erkennt man einen riesigen rot leuchtenden Nebel von grob 1,1° scheinbarem Durchmesser. Sein dunkleres Zentrum nimmt bei (3995/405) eine kleine Sternekette auf. Das Objekt wird in der Datenbank Simbad als HII-Region [KC97c] G111.6+00.9 katalogisiert.
Der auffälligste Emissionsnebel liegt am unteren Bildrand. Er hat das Aussehen eines gezogenen Backenzahns mit der Kaufläche nach unten und den abgespreizten Zahnwurzeln nach Norden (oben). Bereits 1951 hat der Franzose Georges Courtès dieses Nebelobjekt als Nr. 102 in seinen Nebelkatalog aufgenommen - also offizieller Katalogname [C51] 102. Dieser Courtès-Katalog entstand nach ausführlichen H-Alpha-Untersuchungen in der galaktischen Ebene. Vielfach wird [C51] 102 aber als SH 2-157 bezeichnet. Schaut man in den Originalkatalog von Steward Sharpless, so wird in dieser erst 8 Jahre später erschienenen Arbeit aus dem Jahre 1959 ein Durchmesser von 90' angegeben. Der Nebel ist also mitsamt den „Zahnwurzeln“ auch ein Sharpless-Nebel. Seltsam ist, dass die Datenbank Simbad nur den hellsten und recht kleinen Zentralbereich bei (3520/3590) als Sh2-157 benennt. Diese kleine Zone hat nur 2,3' Ausmaß und kann von Herrn Sharpless nicht als sein Objekt Nr. 157 bezeichnet worden sein! Da irrt Simbad. Die beiden hellsten „Zahnwurzeln“ bei (3140/2640) und (3660/2800) tragen eigenständige Nebelbezeichnungen: LBN 111.72-00.23 und LBN 111.37-00.45 aus dem Lynds-Katalog. Oberhalb davon entdeckt man bei (3930/1475) die kleine HII-Region SH 2-159 = LBN 543.
Die astronomisch interessanteste HII-Region liegt bei (2790/1260). Das ist Sh 2-162 = LBN 549. Man könnte meinen, hier würde der relativ zentral gelegene blauen Stern bei (2942/1260) die nötige Ionisierungsenrgie liefern. Aber ein B3-Stern hat nicht die dazu nötige Temperatur. Außerdem wird bereits an der Flächenhelligkeit klar, dass der anregende Stern bei (2783/1142) stehen muss. Das ist BD+60°2522 (die Buchstaben BD besagen „Bonner Durchmusterung“). Dieser 8,67 mag helle Riesenstern vom Spektraltyp O6,5 befindet sich in einem Zwischenstadium, in dem er sich zum LBV (luminous blue variable) oder zum Wolf-Rayet-Stern entwickelt. Danach wird eine Supernova entstehen. Eine recht neue Arbeit stammt von J. A. Toalá, M. A. Guerrero, H. Todt et al.: The Bubble Nebula NGC 7635 – testing the wind-blown bubble theory; Mon. Not. Roy. Astr. Soc. 495, 3041–3051 (2020): Danach wird die Masse von BD+60°2522 zu 27 Sonnenmassen abgeschätzt, die effektive Temperatur auf 35.000 K, der Durchmesser beträgt das 15-Fache der Sonne, die Distanz ließ sich auf 2,5 kpc bestimmen, das sind ca. 8150 Lichtjahre. Und jetzt das, was man im Bild bereits ahnt: Der Stern weist einen hohen permanenten Massenverlust auf. Heftige Sternwinde befördern Sternmaterie in den Außenraum und beschleunigen sie auf hohe Geschwindigkeiten von maximal 2000 km/s. Danach wird die Geschwindigkeit schockartig beim Aufprall (ram pressure) auf das Gas der umgebenden HII-Region Sh2-162 abgebremst, so dass die nahezu runde Gaskugel NGC 7635 geformt wird. Diese sich allmählich ausdehnende Blase (engl. bubble) brachte NGC 7635 auch den Namen „Bubble Nebula“ ein. Die Hauptemission findet in den drei wesentlichen Wellenlängen statt: [SII], Hα und [OIII]. Das Zusatzbild 1 zeigt, was bei einem durchschnittlichen Seeing von 0,7“ am 2,5-m-Teleskop auf La Palma (Nordic Optical Telescope NOT) erzielt wurde: Eine tiefe Aufnahme gemäß der Hubble-Palette beweist, dass der nordöstliche Blasenbereich klar im [OIII]-Licht (Blaukanal) überwiegt. Die umgebende HII-Region ist durch Hα geprägt, welches dem Grünkanal zugeordnet wurde. Und um den dezentral gelegenen BD+60°2522 gibt es einen Kranz von gelb-orangenen Molekülwolkenresten mit „bright rims“, die im [SII]-Licht leuchten, was dem Rotkanal zugeordnet wurde. Und jetzt noch das Zusatzbild 2, eine Aufnahme mit dem Hubble Space Telescope. Hier werden zwei Dinge deutlich: a) strahlt BD+60°2522 (links unten) mit großer Energie auf die Molekülwolkenreste ein, die im Laufe der Zeit zerlegt werden. b) Um BD+60°2522 hat sich eine seltsame neue filamentförmige Nebelstruktur gebildet! Ein neuerlicher Ausstoß oder ein Wechselwirkungsprodukt mit dem Material, was von der zerstrahlten Molekülwolke kommt?
Einige Sternhaufen sind noch zu nennen: Messier 52 (= NGC 7654) bei (2005/155). Südöstlich davon ist bei (1670/600) ein weniger auffälliger offener Haufen namens [FSR2007] 0433 zu sehen, aus dem Katalog von Froebrich, Scholz & Raferty (2007). Nördlich des westlichen „Zahns“ von SH 2-157 liegt noch bei (4910/2730) NGC 7510.
Warum ist BD+60°2522 eigentlich so weit aus dem geometrischen Blasenzentrum entfernt? Zur Zeit wird diskutiert, ob der Stern als „weglaufender Stern“ (runaway star) nach der Blasenbildung diese Stätte künftig wieder verlässt. Die messbare Eigenbewegung deutet an, dass dieser Gedanke ernst genommen werden sollte. Der Stern läuft in der Tat nach Nordosten.
Anmerkungen: Der benutzte Filter ist derzeit in vieler Leute Munde. Ganz offensichtlich werden die schwachen Emissionsnebel damit auch in Orten mit deutlucher Lichtverschmutzung möglich. Die Farben wurden dezent gewählt, ein wenig mehr Farbsättigung täte dem Bild in seiner Wirkung aber doch gut und könnte auch die vielen im Feld verteilten blauen Sterne deutlicher hervortreten lassen.
Herzlichen Dank an Wolfgang Voigt für das wirkungsvolle Bild, auf dem man noch einige Details mehr besprechen könnte ... Und jetzt natürlich die Gratulation des AdW-Teams zum Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Wolfgang Voigt
Koordinaten von NGC 7635 (J2000.0):
RA = 23 h 20 min 48 s, DE = +61° 12' 06"
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