46. Woche - Der Emissionsnebel Sh2-155 und sein Umfeld

Und wieder einmal geht es in den Cepheus, der als Milchstraßensternbild in der Zenitregion kulminiert und eine Fülle an Deep-Sky-Objekten bereit hält. Diese sind eingebettet in große Mengen an Molekülwolken, Staub und leuchtendem Gas. Das heutige AdW dreht sich um die HII-Region Sh2-155. Sie wird auch gern als „Höhlennebel“ bezeichnet. Bildautor Ralf Mündlein nahm das Motiv am 9., 10., 14. und 15.9.2023 in yseiner Sternwarte in Lindelbach (Franken) auf. Das Teleskop war ein Apochromat AOM FLT135, welcher über einen 0,72-fachen Reducer auf eine Brennweite von 778 mm kommt. Die Kamera, eine ToupTek SkyEye24AC (TS-Optics), verfügt als CMOS-Farbkamera über einen Sensor Sony IMX410 im Kleinbildformat. Belichtet wurde ohne Nachführkontrolle 555 x 1 min = 9 h 15 min. Ralf Mündlein schreibt: "Die Sequenzen wurden mit der Software NINA gesteuert. Die Überwachung der Schärfe während der Belichtungsreihen erfolgte durch Beobachten der Auswertungen von CCDInspector. Teilweise konnte ich diese Aufgabe auch am heimischen Rechner durchführen, wozu ich mittels Smartphone einen Hotspot für den Laptop in der Sternwarte setzte und anschließend zu Hause über TeamViewer die Kontrolle übernahm. Bearbeitet wurde mit APP und entrauscht wurde mit Topaz DeNoise AI." Und er fügt noch hinzu: "Das Bildergebnis zeigt eine überraschende, farblich differenzierte Vielfalt. Im Bildfeld befinden sich einige kleinere Nebelobjekte, zu deren Natur ich gerne etwas erfahren würde."
Dann jetzt die Besprechung der Objekte im Bild, dazu bitte das Zusatzbild 1 verwenden. In dieser verkleinerten Version des AdW-Bildes sind zahlreiche Objekte eingetragen. Norden liegt in etwa oben, Osten entsprechend links bei einem Bildfeld von 159' x 105'. Sämtliche helleren blauen Sterne im AdW gehören der Assoziation Cepheus OB3 an (kurz Cep OB3). Ihr Alter beträgt 2 bis 5 Millionen Jahre. Astronomisch gesehen ist das sehr jung. Die Entfernung wurde schon 1959 von A. Blaauw, W.A. Hiltner und H.L. Johnson im Astrophysical Journal 130 zu 725 pc angegeben (2365 Lichtjahre). In der Bildmitte steht der orange leuchtende Stern HD 216945 mit einer V-Helligkeit von 6,53 mag. Er ist nach GAIA-Parallaxenmessungen nur 1115 Lichtjahre entfernt, befindet sich demnach weit im Vordergrund. Als alter Roter Riese kann er auch von vornherein nicht der jungen Assoziation angehören.
Ein wenig oberhalb von HD 216945 liegt Sh2-155 (= LBN 529), hier sogar überstrahlend hell. Die HII-Region hat die Gestalt einer Sichel, welche die Dunkelwolke Dobashi 3420 als Kopf der Höhle umfasst, nach der Sh2-155 den Namen „Höhlennebel“ erhielt. Dobashi 3420 wird hier gar nicht so recht als Dunkelwolke erkannt, was an der kräftigen Belichtung liegt. Dobashi 3420 ist eingebettet in die Molekülwolke Cepheus B, die wiederum Teil einer noch ausgedehnteren Molekülwolke ist, welche sich über die Dunkelwolken Dobashi 3436, 3442 und 3454 weiter nach Osten erstreckt.
Was ist jetzt über Sh2-155 zu sagen? Das Zusatzbild 2 zeigt die Nebelsituation weniger kräftig belichtet, so wie sie der Himmelsatlas Aladin als DSS-Version wiedergibt. Man erkennt sofort, dass Sh2-155 nichts anderes darstellt als den hell ionisierten, leuchtenden Rand der Molekülwolke Cepheus B, die mit der Staubwolke Dobashi 3420 durchsetzt ist. Ionisierender Stern für diesen "bright rim" (hellen Rand) ist HD 217086, ein junger heißer Hauptreihenstern des Spektraltyps O7. Er sorgt dafür, dass der "dicke Kohlensack" links von ihm an seiner Flanke hell in Hα leuchtet. Folglich ist das Dunkelgebiet, welches östlich von Sh2-155 umschlossen wird, keine leere Höhle, sondern eine mit Staub prall gefüllte Dunkelwolke. Der Stern HD 217061 vom Spektraltyp B5 steht ebenfalls an der Wolkenflanke, beleuchtet sie aber nur und trägt zur Ionisierung nichts bei. Sh2-155 weist in seinem gesamten Bereich zahlreiche sehr junge Sterne auf - hier läuft Sternentstehung unmittelbar ab. Näheres dazu: Huang Y.-F. et al. (2014): Investigation of star formation toward the Sharpless 155 H II region; Research in Astron. & Astrophys. 14, article id. 1269-1278.
Zum östlichen Bildrand (und wieder zum Zusatzbild 1): Südlich der Dunkelwolke Dobashi 3454 steht der Stern HD 218229. Und 6' südlich davon erkennt man einen kleinen Reflexionsnebel, der jedoch in keinem Katalog gelistet ist. In seinem Zentrum steckt ein 10,3 mag heller Stern mit der Bezeichnung MHα 217-18. Dieser hat den Spektraltyp B5, ist also blau und hat genügend Energie, um das Nebelchen zu illuminieren. Mit einer GAIA-Distanz von 840 pc gehört er zu Cep OB3. Es handelt sich um einen Emissionslinienstern des Typs Herbig Ae, der seiner Hα-Absorptionslinie überlagert auch eine deutliche Hα-Emission aufweist. Er selbst hat wahrscheinlich das Material ausgestoßen, welches nun den Reflexionsnebel bildet.
Wieder zum Stern HD 216945 in der Bildmitte. Etwa 16' westlich liegen die beiden sehr markanten Dunkelwolken Dobashi 3406 und 3410 in Nordsüdrichtung übereinander. Am Nordrand von Dobashi 3410 verbirgt sich der 4' große, aber lockere offene Sternhaufen [FSR2007] 0406, der nur durch infrarote Wellenlängen sichtbar gemacht werden kann.
Südlich der beiden vorgenannten Dunkelwolken liegt der helle blaue Reflexionsnebel vdB 155 (S. van den Bergh, 1966) = DG 188 (J. Dorschner & J. Gürtler, 1963) = LBN 524 (B.T. Lynds, 1965).
Im Inneren fallen zwei Sterne ins Auge: HD 216629, der Veränderliche IL Cep, ein Herbig Ae/Be-Stern von 9,4 mag und Spektraltyp B3. Dann der zweite: HD 216658, ein 8,9 mag heller B3-Stern. Beide liefern nicht genügend UV-Energie, um den Nebel in eine HII-Region zu verwandeln. Der Reflexionsnebel misst hier im AdW 9' an Winkeldurchmesser.
Von hier aus 20' nach Osten: Dort entdeckt man einen rötlichen irregulären Nebel. Es ist aber keine HII-Region, sondern ein "Getümmel" von Herbig-Haro-Objekten. Die Katalognummern reichen von HH 168A bis HH 168H. Herbig-Haro-Objekte zeigen immer an, dass aktive Sternentstehung abläuft. Die jungen Sterne schleudern Gas aus, welches mit umgebendem Staub kollidiert. Von hier aus rund 10' nach Ostsüdost findet man einen kleinen Reflexionsnebel mit der Katalognummer GN 22.55.2 um den 11,4 mag hellen Stern TYC 4282-861-1.
Anmerkungen: Wieder einmal ein technisch sehr sauberes Astrofoto, erstellt mit einem Teleeskop von Astro Optik Manufaktur (AOM), astro-theke.de, www.astro-theke.de Das Bild lässt für meine Begriffe keine Wünsche offen: Tiefe und Farbe stimmen.
Das AdW-Team dankt Ralf Mündlein vielmals. Und natürlich auch die herzliche Gratulation zum gelungenen Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Ralf Mündlein
Koordinaten (J2000) von HD 216945:
RA = 22 h 55 min 58,4 s, DE = +62° 25' 56"
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