48. Woche - NGC 7822, eine staubdurchzogene HII-Region

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Im nordwestlichen Randbereich von Cepheus und Cassiopeia befindet sich der Emissionsnebel NGC 7822, der auch als Sh2-171 geführt wird. Das AdW zeigt ihn als Farbbild, aufgenommen von Frank Röttcher und hier wiedergegeben gemäß der Hubble-Palette. Die Aufnahmeserie entstand in der Zeit vom 10.08. bis zum 05.09.2021 in Hofheim-Wildsachsen. Der Ort liegt im westlichen Taunus zwischen Wiesbaden und Frankfurt – in einer Region mit starker Nachthimmelshelligkeit. Deshalb ist die Schmalbandfilterung ein probates Mittel für akzeptable Deep-Sky-Bilder. Als Teleskop verwendete der Bildautor einen Newton mit 200 mm Öffnung und 1000 mm Brennweite (ONTC von Teleskop Service), dazu eine CCD-Kamera des Typs Moravian Instruments G2-8300. Belichtet wurde Hα 30 x 10 min, [OIII] 19 x 20 min, [SII] 26 x 20 min, RGB für die Sterne je 20 x 1 min (insgesamt 21 Stunden). Alle Filter stammen von Astronomik, die Linienfiulter mit 6 nm HWB. Das Bild zeigt Norden auf 12:30 Uhr, das hier gezeigte Bildfeld beträgt 1° 02' x 47'. Die Bildbearbeitung erfolgte in PixInsight und Affinity Photo. Das Bild wurde mit Drizzle-Integration erstellt, ist aber als AdW mit ca. 50 MB zu groß. Daher hier eine kleinere Variante.
Frank Röttcher schreibt: „NGC 7822 fasziniert mich aufgrund seiner "Wildheit" und das habe ich versucht mit 20 Stunden Schmalbandbelichtungen festzuhalten. Ich finde, in dem Bild kann man fast spüren, wie ungestüm es da draußen zugeht.“ Diese Aussage ist bestens geeignet, um jetzt ein wenig die astronomischen Eigenschaften von NGC 7822 zu beleuchten. Was wir hier im Bild sehen, ist nur ein Teil des gesamten Nebelkomplexes. Im Zusatzbild 1 wird deutlich, welche Dimension die komplette HII-Region einnimmt. Dieses Zusatzbild aus Aladin misst 4° 39' in der Höhe, man erkennt das typische Fragezeichen: den hellen zentralen Nebelbereich, eine Halbschale nach Westen und den Punkt des Fragezeichens darunter am unteren Bildrand. Diese letztgenannte kleine eigenständige HII-Region ist das Objekt [C51] 106 aus dem Katalog von G. Courtès (1951) oder auch Sh2-170 aus dem zweiten Sharpless-Katalog (1959) und LBN 577 aus dem Lynds-Katalog (1965). Wäre das nicht einmal eine Aufnahme mit größerem Bildfeld wert?
Der zentrale Nebelbereich von NGC 7822 beherbergt auch die anregende Quelle, die das Gas zum Leuchten bringt. Es ist der offene Sternhaufen Berkeley 59 bei den Pixelkoordinaten (2060/520). In seinem Inneren sind zwei heiße, massive O-Sterne enthalten: BD+66°1674 bei (2110/487) mit 10,67 mag und BD+66°1675 mit 10,16 mag bei (2094/545). Man stelle sich vor: Diese beiden Sternchen sind es, die den Riesenkomplex ionisieren und leuchten lassen! Berkeley 59 (und damit auch NGC 7822) ist rund 1000 pc (3260 Lj) entfernt und hat ein Alter von 1,8 Mio. Jahren (Panwar et al., 2018). Das kann man als extrem jung bezeichnen. Am Ort des Sternhaufens herrscht eine starke Absorption von ca. 4 mag, d.h. Ohne die vordergründige absorbierende Materie wäre Berkeley 59 mit seinen vielen Einzelsternen 4 mag heller.
Wie der Bildautor schon bemerkt, ist die Nebelumgebung echt chaotisch. Das liegt daran, dass NGC 7822 in einer riesigen Molekülwolke steckt. Dazu gibt es einen Fachartikel (für Interessierte): Y. Ma et al.: Molecular clouds in the second quadrant of the Milky Way midplane from l = 104.75° to l = 119.75° and b = -5.25° to b = 5.25°; Astrophys. J. Suppl. Ser. 254, 3-3 (2021). Die Molekülwolke ist mit einer Menge an Staub verbunden, der viele Nebelbereiche überdeckt.
Molekülwolken sind stets die Geburtsplätze der Sterne und repräsentieren generell die kältesten und dichtesten Bereiche des interstellaren Mediums. Was wir im AdW als hellblaue Nebelzone sehen, umrandet von einem goldfarbenen Kranz und dunkjlen Staubwolken im Vordergrund – das ist ein Loch in der Molekülwolke. Der goldgelbe Kranz ist der umgebende helle Rand (bright rim), wo die Ränder der Molekülwolke von innen her durch die enorme Energie der beiden O-Sterne aus Berkeley 59 angegriffen und zerfetzt werden. Vielfach bleiben dann die so genannten „Pfeiler“ (engl. pilars) oder „Elefantenrüssel“ aus dichtem molekularem Material über eine gewisse Zeit stehen, bis auch sie schließlich der Strahlungskraft nachgeben müssen und sich auflösen. Bei (1900/1400) befindet sich ein solches doppeltes Gebilde. Beide Rüssel zeigen klar auf den Sternhaufen Berkely 59. Der kleinere linke Rüssel ist wegen seiner Form (die aber nur auf langbrennweitigen Aufnahmen mit gutem Seeing erkennbar wird) als „the dancing queen“ bekannt, also die tanzende Königin (das nur zur Freude derjenigen Astrofotografen, die exotische Namen lieben …). Das Zusatzbild 2 zeigt die dancing queen, dem PanSTARRS-Archiv als Rotaufnahme entnommen. Der Bereich des bright rim zeigt auch noch andere schöne kleine Strukturen, dazu dann das Originalbild herunterladen und ruhig einmal hineinzoomen.
Anmerkungen: Das aktuelle AdW ist als Hubble-Bild relativ weich dargestellt – natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ansonsten ist nach meinem Empfinden nichts zu beanstanden. Von daher dankt das AdW-Team Frank Röttcher vielmals für dieses aufschlussreiche Bild … und natürlich folgt hier auch unsere herzliche Gratulation zum Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Frank Röttcher
Objektkoordinaten (J2000):
RA = 00 h 01 min 09 s, Dec = +67° 25´ 17´´
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