6. Woche - Der Galaxienhaufen Abell 426 alias ACO 426

Heute gibt es nach längerer Zeit wieder einmal einen Galaxienhaufen zu bewundern: Abell 426 - der Perseushaufen. Gerald Willems, Mitglied der Fachgruppe Astrofotografie und der TBG-Gruppe (Tief Belichtete Galaxien) hat ihn völlig neu aufgenommen, nachdem er das Motiv als solches schon einmal 2009 hier vorstellen konnte. Diesmal verwendete er einen 14-Zoll-Newton bei 1200 mm Brennweite, als Kamera eine Atik 460 EXm. Die Aufnahme datiert vom November 2019. Belichtet wurde wie folgt: Luminanz 40 x 10 min, R, G und B je 12 x 10 min. Das sind insgesamt 12 h 40 min. Die Bildfeldgröße beträgt 36' x 28,7' mit Norden oben und Osten links.
Der Galaxienhaufen Abell 426 stammt aus der Untersuchung des amerikanischen Astronomen George O. Abell. Er war in den 1950er Jahren unter anderem damit befasst, die bis dahin wenig erforschten Galaxienhaufen anhand der damals neuen POSS-Glasplatten zu studieren. Kurze Erinnerung: Der POSS (Palomar Observatory Sky Survey) war von der National Geographic Society gefördert worden, und viele (insbesondere amerikanische) Astronomen stürzten sich damals "auf die neuen Daten" - so würde das ein heutiger Astrofotograf ausdrücken. Vor Abells Arbeit hatte es meines Wissens vor 1949 nur eine wesentliche Veröffentlichung zu Galaxienhaufen gegeben, sie stammt von H. Shapley und erschien 1933. Abell publizierte seine ausführlichen Untersuchungen dann 1958 in dem Werk "The Distribution Of Rich Clusters Of Galaxies" (die Verteilung reicher Galaxienhaufen). Darin wurden 2712 Galaxienhaufen gelistet. Was versteht man eigentlich unter "rich clusters"? Die "Reichhaltigkeit" (richness) eines Galaxienhaufens definiert Abell als Zahl derjenigen Galaxien, die insgesamt nicht mehr als 2 mag schwächer als die dritthellste Galaxie des Haufens sind. Dabei wurden 6 "Richness Groups" eingeführt, die von 0 (30 bis 49 Galaxien) bis 5 (über 300 Galaxien) reichen. Auch eine Aussage zur Entfernung der Galaxienhaufen wurde beigefügt. Allerdings ist diese Darstellung nach heutigen Maßstäben wohl nicht mehr sinnvoll. Sinnvoll war und bleibt jedoch die Statistik: Wie und wo sind welche Galaxienhaufen nach Größe und Reichhaltigkeit verteilt? Damit war aber nicht Schluss: Abell, Corwin und Olowin publizierten 31 Jahre später eine erweiterte Ausgabe: "A Catalog of Rich Clusters of Galaxies" im Astrophysical Journal Suppl. 70, 1 (5/1989). Darin wurde mit dem australischen UK-Schmidtteleskop (1,2 m Öffnung) dann auch der Südhimmel erfasst. Seitdem werden die Abell-Galaxienhaufen in den Datenbanken nicht mehr nur als Abell xxx geführt, sondern als ACO xxx (wegen Abell, Corwin und Olowin).
ACO 426 gruppiert sich um die Zentralgalaxie NGC 1275, siehe Pixelkoordinaten (822/954). Diese 12,5 mag helle Galaxie vom Typus E peculiar (= merkwürdig) besticht durch ihre Strukturierung. Merkwürdig ist, dass sie im Inneren eine Fülle von Auswürfen zeigt, die auch in Ha nachweisbar sind. Im AdW erkennt man diese nach außen strebenden Gebilde, jedoch sind sie nicht rot. Klar, es wurde keine Hα-Filterung verwendet, es handelt sich um eine LRGB-Aufnahme. Hätte man auch eine Hα-Filterung zulegen sollen? Astrofotografen, aufgepasst beim Nachmachen mittels Schmalbandfilter! NGC 1275 besitzt eine Radialgeschwindigkeit von 5218 km/s, so dass sich die Hα-Linie wegen der Dopplerverschiebung um 11,4 nm von 656,3 nach 667,7 nm verschiebt. Ihr werdet demzufolge mit den üblichen Hα-Filtern von 12 oder gar 6 nm HWB nichts von Hα sehen. Dass sich hier im Galaxieninneren astrophysikalische Prozesse abspielen, wird auch daran erkennbar, dass die Seyfert-Galaxie NGC 1275 ein starker Radiostrahler geführt wird mit der Katalogbezeichnung Perseus A oder 3C 84 gemäß dem 3rd Revised Cambridge Catalog.
Außer NGC 1275 gibt es noch eine zweite, große elliptische Galaxie in ACO 426, das ist die 13,7 mag helle NGC 1272 bei (1157/1035). Dass große Galaxien des Typs E in Haufenzentren dominieren, ist inzwischen klar. Hier gibt es die meisten Möglichkeiten für Galaxienbegegnungen und -verschmelzungen, so dass größere, unstrukturierte neue Galaxien entstehen. Interessant ist im Galaxiengewimmel auch die ca. 14 mag helle Sb-Spirale NGC 1268 mit schönen, gewundenen Spiralarmen bei (1605/1038). Ihre Radialgeschwindigkeit beträgt im Vergleich zu NGC 1275 nur 3205 km/s. Das bedeutet, dass der Perseushaufen eine große Streuung der Fluchtgeschwindigkeiten der Mitgliedsgalaxien aufweist. Offenbar gibt es hier reichlich Turbulenzen und Dynamik. Das All ist in Bewegung, wir erkennen es auf unserer kurzen Zeitskala aber nicht, sondern müssen Messwerte heranziehen.
Sofort habe ich den Hintergrund der Aufnahme näher in Augenschein genommen. Und dabei fielen mir zahlreiche Zwerggalaxien auf. Zwerggalaxien sind die häufigsten Vertreter in Galaxienhaufen, allerdings sind sie wegen ihrer Lichtschwäche nur schwer erkennbar und werden daher auch weniger beachtet. Da aber der Astrofotograf auch gern seine Grenzen in den Aufnahmen absteckt, hier ein Hinweis: Zwei Zwerggalaxien sind auf Geralds AdW zu verzeichnen, die nach meinem Kenntnisstand bisher nirgends katalogisiert sind. Das ist einmal das diffuse Objekt bei (769/412), ein weiteres dann bei (1459/1559). Weder in der Datenbank Simbad noch in der NASA Extragalactic Database findet sich für diese beiden Dwarfs eine Katalogbezeichnung. Lieber Bildautor: Die lange Belichtungszeit hat sich also ausgezahlt!
Anmerkungen: Das AdW ist inhaltlich extrem informativ - kein Zweifel. Für eine Amateuraufnahme ist die rein technische Abbildungsqualität sicherlich sehr ordentlich. Misst man das vorliegende Bild aus, so kommt man auf einen FWHM-Wert um 3,6" (klar, dass eigentlich das ungestreckte Summenbild im FITS-Format vermessen werden muss). Mit anderen Worten: Das Seeing war sicherlich nicht optimal. Zum Vergleich einmal ein Bild (hier klicken), in welchem Geralds NGC 1275 mit einem irg-Bild des PanSTARRS-Teleskops verglichen werden kann. Nun ist dieses 1,8-m-Teleskop sicherlich keine Vergleichsgrundlage für ein Amateurteleskop, es zeigt aber, was man bei gutem Seeing erwarten darf. Und einige Astrofotografen kommen ja bereits auf FWHM-Werte unterhalb von 1". Aber wie gesagt: Dieses Zusatzbild soll lediglich zeigen, wo die Auflösungsgrenzen für uns Amateure liegen. Abgesehen davon erkennt man sofort, dass das Amateurbild in der erreichten Flächenhelligkeit viel tiefer geht als das PanSTARRS-Bild.
Kurz eine zweite Sache: Bei den Pixelkoordinaten (661/504) befindet sich der Stern HD 275158 mit B = 10,70 mag und V = 10,45 mag, Sein Spektraltyp ist A0 wie bei der Wega. Der Farbindex B-V = 0,25 mag zeigt, dass dieser Stern eindeutig hellblau sein sollte. Ist das im AdW auch der Fall? Nur die Beugungsspikes der Fangspiegelstreben deuten ein zartes Blau an. Mir erscheint das Bild eher ein wenig gelblastig. Daher der Tipp: Sucht Euch in Euren Aufnahmen einige markante Sterne heraus und seht nach, was die Datenbanken zu den Farben B-V dieser Sterne sagen. In der Regel reicht es, einen blauen und einen orangefarbenen Stern herauszusuchen, um die Farbwiedergabe zu überprüfen. Regelrecht weiße Sterne wird man aufgrund der Seltenheit des Spektraltyps G2 kaum finden.
Ansonsten: Die neuerliche Aufnahme ist Gerald Willems mit Bravour gelungen. Vielen Dank für dieses schöne Resultat und Gratulation zum Astrofoto der Woche!
Peter Riepe
Bildautor: Gerald Willems
Koordinaten von ACO 426 (J2000):
RA = 03 h 19 min 47 s, DE = +41° 30' 47''
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