8. Woche - Der Wolf-Rayet-Nebel NGC 6888

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Der auch als "Crescent Nebula" (Sichelnebel) bekannte NGC 6888 ist unter Astrofotografen ein Standardobjekt. Warum Sichelnebel? Weil seine Form der Mondsichel gleicht. Kai-Oliver Detken, Mitglied der VdS-Fachgruppe Astrofotografie, fertigte dieses schöne Bild von NGC 6888 in einer Hα-leuchtenden Umgebung an. Die Aufnahmeserie entstand am 29. Juli 2021 (also zu Zeiten der Mitternachtsdämmerung) in Grasberg bei Bremen. Das Aufnahmeteleskop war ein Refraktor TS PHOTOLINE 130 mm, ein Apochromat f/7 mit einem Triplett-Objektiv. Dazu wurde als Kamera eine DeepSky Pro 2600c verwendet, eine Farbkamera der österreichischen Firma Lacerta Optics. Sie arbeitet mit einem SONY-Chip des Typs EXMOR IMX571. Belichtet wurde 50 x 5 min bei Benutzung eines L-eXtreme-Filters von Optolong. Er hat zwei Transmissionsfenster, und zwar für [OIII] und für Hα. Dazu weiter unten mehr. Das Bild zeigt Norden auf etwa 10 Uhr bei einem Bildfeld von 89' x 59'.
Kai-Oliver Detken schreibt: "Bei diesem Bild handelt es sich um eine Falschfarbendarstellung, da der L-eXtreme-Filter von Optolong vornehmlich Hα und [OIII] durchlässt. Bei der Bildverarbeitung kann dieses Falschfarbenbild wie ein normales RGB-Bild bearbeitet werden, wobei man je nach Darstellung aber unterschiedliche Algorithmen auswählen kann. Programme wie AstroPixelProcessor (APP) oder SiriL bieten hier unterschiedliche Varianten für die Nutzung eines Duofilters an. So lassen sich bei APP z.B. die Varianten Adaptive Airy Disc, Ha-OIII color, Ha-OIII mono unterscheiden. Sie führen zu unterschiedlichen Bildergebnissen, die man entsprechend abwägen sollte."
Zum Objekt: NGC 6888 ist trotz seiner faserigen Erscheinung kein Supernovarest, und trotz seiner Ringform mit Zentralstern auch kein PN. Der 7,5 mag helle HD 192163 nahe dem Zentrum von NGC 6888 ist ein so genannter Wolf-Rayet-Stern (kurz WR-Stern), auch als WR 136 katalogisiert. Seine Echtfarbe ist mit B-V = -0,01 mag kräftig blau. Der Spektraltyp wird als WN6 geführt (N ist im Spektrum Stickstoff in Emission). Die Entfernung von NGC 6888 wurde stets unterschiedlich gemessen und daher auch unterschiedlich angegeben. Heute stehen verlässliche Messungen für die Parallaxen hellerer Sterne zur Verfügung. Für NGC 6888 ergibt sich aus der Parallaxe des Zentralsterns (siehe Datenbank Simbad) eine Entfernung von 5650 Lichtjahren. Im AdW lässt sich der Durchmesser von NGC 6888 zu 17,9' ausmessen. Für die genannte Entfernung folgt daraus ein echter Durchmesser von 29 Lichtjahren für die Längsachse in Projektion (die wirkliche Raumlage ist ja nicht bekannt).
Was hat man sich eigentlich unter einem WR-Stern vorzustellen? Eine schnelle und einfache Erklärung: Massereiche junge O-Sterne von etwa 20-50 Sonnenmassen mit effektiven Temperaturen von 30.0000 bis 50.000 K entwickeln sich in ihrem kurzen Leben zunächst zu Roten Überriesen (RSG = red supergiants). Dabei werfen sie ihre äußeren Schichten ab, so dass der innere, wesentlich heißere Kern offengelegt wird - das ist der WR-Stern! Er verliert durch Sternwinde sehr hoher Geschwindigkeit permanent an Masse, in hunderttausend Jahren etwa eine Sonnenmasse. Der alte Auswurf bildet dann (geformt durch die treibenden Sternwinde und das umgebende Medium, auf das die expandierende Hülle trifft) den WR-Nebel. Laut Modellen zur Sternentwicklung vergehen die WR-Sterne später als Supernovae. Festzuhalten: WR-Nebel wie NGC 6888 sind junge Nebel. PNe sind alte Nebel, sie sind Hinweise auf den nahenden Sternentod ihres Zentralsterns. Supernovareste sind uralte Nebel, die in ihrem Zentrum (oftmals) einen Neutronenstern als "Sternenleiche" übrig behalten.
Der Astrofotograf weiß, dass Sterne und Nebel haben immer einen echten astronomisch-astrophysikalischen Hintergrund haben, und dass sie nicht nur "pretty objects" des persönlichen Geschmacks und des reinen Handlings von Programmen zur Bildbearbeitung sind. Insofern dürfte es jetzt für Viele interessant sein, professionelle Schmalbandbefunde zu NGC 6888 kennenzulernen. In einer neuen Veröffentlichung haben G. Rubio et al. (2020) NGC 6888 im März 2019 im Infraroten untersucht, dazu aber auch mit folgender Ausrüstung im optischen Spektralbereich aufgenommen:
320-mm-CDK f/8, SBIG STL-6303E/LE, bei 2x2-Binning effektiver Bildmaßstab von 1,46 arcsec/pixel, ein reiner Hα-Filter (Bandbreite 3 nm), ein [OIII]-Filter mit ebenfalls 3 nm Bandbreite, Belichtungen 1,5 h Hα und 2 h [OIII]. Bias- und Flat-Korrekturen wurden mit dem professionellen IRAF-Programm (Image Reduction and Analysis Facility) vorgenommen. Das erzielte Bicolorbild der Profi-Astronomen ist im Zusatzbild 1 zu sehen, im direkten Vergleich mit dem heutigen AdW. Der Vergleich lohnt, denn so zeigt sich ein deutlicher Unterschied beider Aufnahmesysteme im Blauanteil, worüber man sich nun Gedanken machen kann.
Die Autoren informieren auch über die in NGC 6888 gemessenen Stärken der restlichen helleren Emissionslinien. Üblich ist es dabei, die Stärke von Hβ auf 100 zu normieren. Hα ist mit 301,6 dreimal stärker. Das [OIII]-Dublett (Doppellinie) bei 495,9 nm und 500,7 nm kommt zusammen auf 324,2 und ist damit geringfügig stärker als Hα. Das [NII]-Dublett des Stickstoffs bei 654,8 und 658,3 nm erreicht gemeinsam 172,1 – das ist 57% der Hα-Stärke. Man sollte also die [NII]-Emission immer mit im Kopf haben, wenn der verwendete Hα-Filter mehr als 6 nm Bandbreite hat! Ich wiederhole deshalb seit Jahren immer wieder geduldig: ein handelsüblicher Hα-Filter mit mehr als 6 nm Bandbreite sollte nicht als Hα, sondern als Hα + [NII] bezeichnet werden. Zu guter letzt wurde auch die Stärke des [SII]-Dubletts bei 671,6 und 673,1 nm mit 9,3 angegeben. Das ist erstaunlich wenig.
Aus solchen Werten ergeben sich Rückschlüsse über die relativen Stärken der Emissionslinien des Nebels. Und das wiederum ermöglicht Folgerungen zur eigenen Anwendung von Schmalbandfiltern und auch zur erwarteten Farbgebung. So zeigt sich unmittelbar, dass eine [SII]-Filterung bei NGC 6888 entfallen kann. Auch in die Darstellung gemäß der Hubble-Palette geht [SII] nur unwesentlich ein und müsste daher unverhältnismäßig stark gestreckt werden.
Anmerkungen: Der Vorteil des Optolong L-eXtreme-Filters (siehe Zusatzbild 2) ist, dass man zwei Emissionslinien gleichzeitig (d.h. zeitsparend) aufnehmen und mit geeigneter Software weiter bildbearbeiten kann. Die Transmissionsfenster für [OIII] und Hα sind jeweils 7 nm breit. Wie bitte? 7 nm ??? Da muss doch jeder Astrofotograf stutzen. Bei dieser Bandbreite werden auch die beiden [NII]-Linien direkt bei Hα durchlassen! Optolong hat das nicht „auf dem Schirm“ und erwähnt die [NII]-Linien auch nirgends auf seiner Webseite. Der Bruder des L-eXtreme, der L-eNhance, wird von Optolong als Tribandfilter bezeichnet, weil er in dem blauen Transmissionsfenster neben [OIII] noch Hβ durchlässt. Die Optolong-Definition für "Band" und "Triband" ist schon recht seltsam. Aber davon einmal abgesehen: Dann wäre es bei Optolong auch konsequent, den L-eXtreme mit seinem zusätzlichen [NII]-Anteil im Hα-Fenster als Mehrbandfilter zu bezeichnen. Egal ... Jetzt zu der Konsequenz fürs aktuelle AdW. Im zusätzlichen roten [NII]-Licht könnte womöglich eine Ursache dafür liegen, dass im oben genannten Zusatzbild 1 der Rotanteil im Bicolorbild von Kai-Oliver Detken stärker ist als im Bicolorbild der Profis mit nur 3 nm Bandbreite. So tritt [OIII] vergleichsweise schwächer in Erscheinung.
Kai-Oliver Detken schreibt noch: "Mein Ziel war es, neben den mächtigen Hα-Strukturen auch den [OIII]-Anteil mit zur Geltung kommen zu lassen. Dies war bisher mit anderen Nebelfiltern nie gelungen." Hier besteht also noch ein wenig Optimierungsmöglichkeit, zumal die Belichtungszeit mit 250 min bei Blende 7 nicht allzu hoch ist. Die Signalstärke entspricht derjenigen, die man bei Blende 4 mit 82 min erzielt. Dennoch ein schönes Ergebnis, gerade auch, weil es mit einem Schmalband-Duofilter aufgenommen wurde, welcher derzeit ja viel diskutiert wird. Wir bedanken uns beim Bildautor und gratulieren zum Astrofoto der Woche.
Peter Riepe
Bildautor: Kai-Oliver Detken
Objektkoordinaten von NGC 6888 (J2000.0):
RA = 20 h 12 min 11 s, Dec = +38° 20' 14''
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