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Die Kunst, Pulsare zu beschleunigen

| Max-Planck-Institut

Wie verändert sich die Umlaufverhalten von extrem schnell rotierenden Neutronensternen, den sogenannten Millisekunden-Pulsaren, wenn sie keine Masse von ihrem Begleitstern mehr aufnehmen? Die Entstehung von Millisekunden-Pulsaren ist das Ergebnis von Kannibalismus unter Sternen, wobei Materie vom Partnerstern in einem Doppelsternsystem auf einen Pulsar überfließt. Dieser Vorgang wird auch als Akkretion bezeichnet. Während dieser Phase sendet der Pulsar Röntgenstrahlung aus; gleichzeitig wird er auf eine erstaunlich hohe Umlaufgeschwindigkeit beschleunigt mit Umlaufperioden von nur noch 1 bis 10 Millisekunden.

 

Der Astrophysiker Thomas Tauris verbindet in seinem Forschungsprojekt zwei Forschungsgruppen in Bonn, am Argelander-Institut für Astronomie und am Max-Planck-Institut für Radioastronomie. Durch numerische Berechnungen auf der Grundlage von Sternentwicklungsmodellen und Massenzuwachs durch Akkretion kann er zeigen, dass die Millisekunden-Pulsare ungefähr die Hälfte ihrer Rotationsenergie während der Schlussphase des Akkretionsprozesses verlieren, und das bevor der Pulsar im Radiowellenbereich sichtbar wird. Das ist in Übereinstimmung mit den Beobachtungsergebnissen. Darüber hinaus lässt sich damit erklären, warum Millisekunden-Pulsare im Radiobereich viel älter erscheinen als die Weißen Zwerge als Begleiter im Doppelsternsystem - und vielleicht auch, warum überhaupt keine Radiopulsare im Submillisekundenbereich gefunden werden können.

Über diese Forschungsergebnisse wird in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Science" vom 3. Februar berichtet.

Pressinformation des Max-Planck-Institut für Radio Astronomie vom 02.02.2012

Künstlerische Darstellung eines Millisekundenpulsars in einem Doppelsternsystem. Die vom Begleitstern überfließende Materie bildet eine Scheibe um den Neutronenstern, die am inneren Rand durch die Magnetosphäre des Pulsars abgeschnitten wird. Der Materieüberlauf (Akkretion) führt zur Aussendung von Röntgenstrahlung in diesem System.
Bild: NASA / Goddard Space Flight Center / Dana Berry (Bitte Anklicken für höhere Auflösung!).

 

 

Millisekunden-Pulsare sind alte Neutronensterne in Doppelsternsystemen mit starkem Magnetfeld, die durch die Ansammlung von Masse und Drehmoment von ihrem Begleitstern zu sehr hohen Umlaufgeschwindigkeiten beschleunigt werden. Zur Zeit kennt man ungefähr 200 solcher Pulsare mit Umlaufperioden zwischen 1,4 und 10 Millisekunden. Sie konnten sowohl in der Galaktischen Scheibe als auch in Kugelsternhaufen im äußeren Bereich unserer Milchstraße nachgewiesen werden.

Seit der Entdeckung des ersten Millisekunden-Pulsars im Jahr 1982 blieb es eine Herausforderung für Theoretiker, Umlaufperioden, Magnetfelder und Alter dieser Objekte in einem zusammenhängenden Modell zu erklären. Zum Beispiel ist da das "Abschaltproblem", d.h., was passiert mit der Umlaufgeschwindigkeit des Pulsars, wenn der Massentransfer vom Begleitstern beendet wird.

"Wir konnten jetzt zum ersten Mal detaillierte numerische Sternentwicklungsmodelle mit Berechnungen der Abbremsung kombinieren, die auf den rotierenden Pulsar wirkt", sagt Thomas Tauris, der Autor der Veröffentlichung in "Science". "Als Ergebnis erhalten wir, dass der Pulsar ungefähr die Hälfte seiner Rotationsenergie in der sogenannten "Roche-Lobe-Entkopplungsphase" verliert." Mit diesem Begriff wird der Abschluss des Massentransfers in dem Doppelsternsystem vom Begleiter auf den Neutronenstern bezeichnet. Daraus geht hervor, dass Millisekunden-Pulsare, die Radiostrahlung aussenden, etwas langsamer rotieren sollten als ihre Vorgänger, die Röntgen-Pulsare, bei denen noch Materie vom Partnerstern übertragen wird. Das stimmt mit den Beobachtungsdaten für beide Gruppen von Pulsaren sehr schön überein. Darüber hinaus kann man mit den Modellrechnungen erklären, warum manche Millisekunden-Pulsare scheinbar älter erscheinen als das Alter des Universums und vielleicht auch, warum keine Submillisekunden-Pulsare im Radiobereich gefunden werden können.

Ein Schlüsselergebnis der neuen Rechnungen ist die Lösung des Problems, wie der rotierende Pulsar aus seiner Umlaufgeschwindigkeit abgebremst werden kann. Wenn der Massentransfer vom Partnerstern geringer wird, führt das zu einer Ausdehnung der Magnetosphäre des Pulsars. Das einfallende Material wird ähnlich wie bei einem Propeller herausgeschleudert und führt zum Verlust von Rotationsenergie bei dem Pulsar. Als Ergebnis vermindert sich die Umlaufgeschwindigkeit.

"Ohne die Lösung für das "Abschaltproblem" könnten wir davon ausgehen, dass die Pulsare in der Übergangsphase sogar auf Umlaufperioden von 50 bis 100 Millisekunden heruntergebremst werden", schließt Thomas Tauris. "Das wäre in klarem Widerspruch zu den Beobachtungsergebnissen, die auf jeden Fall zeigen, dass Millisekunden-Pulsare existieren."

Die vorliegende Arbeit profitiert davon, die Gruppen "Stellare Physik" am Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn (geleitet von Norbert Langer) und "Radioastronomische Fundamentalphysik" am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (geleitet von Michael Kramer) im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts zu verbinden. Die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Sternentwicklungsmodelle basieren auf einem von Norbert Langer entwickelten numerischen Code. Ein wesentlicher Teil der Beobachtungsdaten zu Pulsaren wurde von der Forschungsgruppe von Michael Kramer beigetragen. Die Gruppe arbeitet am 100-m-Radioteleskop Effelsberg im Rahmen einer ganzen Anzahl von Suchprogrammen zur Entdeckung neuer Millisekunden-Pulsare.

Thomas Tauris ist seit dem Jahr 2010 als Gastprofessor in Bonn, in einem gemeinsamen Projekt des Argelander-Instituts für Astronomie der Universität Bonn und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie. Ein Teil seiner Forschungsergebnisse ist im Wissenschaftsjournal "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" erschienen, in zwei Veröffentlichungen zusammen mit Norbert Langer und Michael Kramer. Am 27. Februar wird zu diesem Thema ein internationaler Workshop unter dem Titel "Formation and Evolution of Neutron Stars" in Bonn veranstaltet.


Originalveröffentlichung:

Spin-Down of Radio Millisecond Pulsars at Genesis, Thomas M. Tauris, Science Bd. 335, S. 561. DOI 10.1126/science.1216355.


Weitere Informationen:

Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR).

Argelander-Institut für Astronomie (AIfA), Universität Bonn.

Radioastronomische Fundamentalphysik am MPIfR.

Stellarphysik an der Universität Bonn.

Formation of millisecond pulsars with CO white dwarf companions, Thomas M. Tauris, Norbert Langer, Michael Kramer, Preprint MNRAS.

Formation and Evolution of Neutron Stars, Workshop Bonn, 27. Februar 2012.

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