Endurance – Mein Jahr im Weltall

„Endurance“ (dt. Ausdauer) benötigt man beim Lesen dieses Raumfahrtbuches nur wenig, denn kaum angefangen mit dem Lesen mag man gar nicht mehr damit aufhören. Ausdauer brauchte hingegen der US-Astronaut Scott Kelly, der, Jahrgang 1964, zusammen mit seinem nur 6 Minuten jüngeren Zwillingsbruder Mark, zunächst eine Karriere als Marineflieger begann – worüber er in seinem Buch ausführlich berichtet – und dann 1996 zur NASA ging, um sich dort zum Astronauten ausbilden zu lassen. Sein erster Raumflug erfolgte 1999 mit der Mission STS-103, bei der als Pilot der Raumfähre DISCOVERY fungierte. 2006 flog er im Rahmen der STS-118-Mission an Bord der ENDEAVOUR bereits als Kommandant, während er bereits 2010 mit der Sojus TMA-01M, dieses Mal als Bordingenieur, zur Internationalen Raumstation ISS (ISS-Expedition 25) unterwegs war, wo er ganze sechs Monate am Stück verbrachte. Bei der ISS-Expedition von November 2010 bis März 2011 war er der Kommandant der ISS-Expedition 26. Im März 2015 begann dann sein Langzeitaufenthalt (ISS-Expeditionen 43-46), der erst ein Jahr später erfolgte.
Neben zahlreichen Rückblicken auf seine Kindheit, die Militärzeit, das Engagement bei der NASA und die Vorbereitungen auf die Missionen in den USA und Russland und seine Familie beschreibt er sehr ausführlich und ins manchmal schmerzliche Detail gehend seinen einjährigen Aufenthalt auf der ISS. Der lockere Schreibstil macht es Leserinnen und Lesern leicht, sich vorzustellen, wie man auf der ISS lebt, welche wissenschaftlichen Arbeiten aber auch profane Dinge wie Toilettenreinigung, Reparatur des CO2-Filters erledigt werden müssen oder der Tatsache, dass in der Schwerelosigkeit absolut nichts an seinem Ort verbleibt. Mahlzeiten kann man nicht wie auf der Erde zu sich nehmen, sonst würden Krümel und Tropfen der Getränke wie wild durch die Raumstation schweben und möglicherweise wichtige Geräte verstopfen.
In einem ganzen Jahr passiert natürlich eine ganze Menge auf der Raumstation, technische Geräte können ausfallen und müssen ersetzt werden oder es ist bastlerisches Geschick erforderlich, um Reparaturen mit Bordmitteln durchzuführen. Man erfährt auch von diesem und jenem kleinen „Geheimnis“, das die geneigte Leserin/der Leser in Erstaunen versetzen mag. Leben im All ist eben etwas ganz anderes als auf der Erde. Zum Glück ist die Raumstation groß genug, sodass man Konflikten aus dem Weg gehen kann, weil auf der ISS Astronauten und Kosmonauten auf engstem Raum zusammenleben. Man ist aufeinander angewiesen und das klappt dort oft besser als auf der Erde. So gab es während des einen Jahres mehr Freundschaften unter den verschiedenen Nationen als auf der Erde.
Ein wichtiger Aspekt waren die wechselnden Mannschaften aus Amerikanern, Russen und Europäern, die aufgrund der verschiedenen Charaktere neue An- und Einsichten brachten und auch den Umgang miteinander förderten. Besonders beliebt unter den Astronauten war dabei die lebensfrohe und ständig zu Scherzen aufgelegte italienische Astronautin Samantha Cristoforetti, die 2015 im Rahmen der ISS-Expedition 43 für drei Monate auf der ISS war.
Ein weiterer war natürlich die regelmäßige Kommunikation mit den jeweiligen Bodenstationen, im US-Lab natürlich mit dem NASA-Hauptquartier und die private Kommunikation mit Familienangehörigen per Mail und Video. So musste Scott Kelly Höhen und Tiefen miterleben. Bereits auf der vorherigen Mission hatte er miterleben müssen, dass seine Schwägerin bei einem Attentat schwer verletzt wurde und auch auf der Langzeitmission ging es oft um Beziehungsstress, weil er seiner Lebensgefährtin nicht beiseite stehen konnte, weil er auf der ISS war. Schließlich ging Scotts letzte Mission, die ISS-Expedition 46 Anfang März 2016 zu Ende und er kehrte zur Erde zurück. Aufgrund des täglichen Sportprogramms und seiner besonderen Konstitution hatte er weniger Probleme mit der wieder zur spürenden Schwerkraft als seine Kameraden. Er nahm gemeinsam mit seinem eineiigen Bruder Mark, mit dem ihn naturgemäß viel verbindet und der für ihn in Notlagen eine Art Stellvertreter war, an einem Programm zur Zwillingsforschung teil, kehrte aber kurze Zeit nach Ende der Mission der NASA den Rücken und ließ sich in den Ruhestand versetzen, da er mit keiner weiteren Weltraummission mehr rechnete. Im Nachwort wird deutlich, was ihm im Leben wichtig erscheint: gemeinsames Miteinander, ohne das auf der ISS nichts gegangen wäre, gegenseitige Rücksichtnahme und die Erkenntnis, dass Wasser ein ganz elementarer Stoff ist, den man leider erst zu schätzen weiß, wenn es nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Selten habe ich ein Buch über Raumfahrt gelesen, dass so intensiv ein Thema behandelt, als wäre man die ganze Zeit dabei gewesen und das wirklich alle Aspekte im Leben eines Astronauten umfasst. Daher halte ich es für absolut empfehlenswert und kann es nur jeder/jedem ans Herz legen, es zu lesen. Es ist nicht nur emotional aufwühlend, sondern bietet auch viele Gedankenansätze, die weit über das Lesen hinausgehen!
Dieses wundervolle Buch kann bei jedem online-Händler oder über eine normale Buchhandlung bezogen werden und ist auch als eBook in den üblichen Formaten erhältlich.
Titel: Endurance – Mein Jahr im Weltall
Autoren: Steve Kelly
Verlag: C. Bertelsmann Verlag
ISBN: 978-3-570-10329-6
Jahr: 2018