Entdeckung der Gammastrahlung eines sehr schnell rotierenden Neutronensterns mit dem Fermi Satellitenteleskop der NASA rüttelt an bisherigen Modellen zum Ursprung solcher Objekte
Einem internationalen Team von Astronomen mit Paulo Freire vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn als Erstautor ist es gelungen, durch Beobachtungen mit dem „Large Area Telescope“ an Bord des Weltraumteleskops „Fermi“ den ersten Gammastrahlungs-Pulsar in einem Kugelsternhaufen zu entdecken. Der Pulsar mit der Bezeichnung „J1823-3021A“ liegt im Kugelsternhaufen NGC 6624 im Sternbild Schütze (Sagittarius), nicht weit von der Richtung zum Zentrum unserer Milchstraße. Mit einer Entfernung von ca. 8,4 kpc (das entspricht 27 000 Lichtjahren) ist es der am weitesten entfernte Pulsar, der bis dato im Gammastrahlungsbereich identifiziert werden konnte. Seine extrem hohe Leuchtkraft in diesen Wellenlängen deutet darauf hin, dass es der jüngste bisher gefundene Millisekunden-Pulsar ist und dass sein Magnetfeld um einiges stärker sein dürfte als bisher theoretisch vorhergesagt. Der neugefundene Pulsar lässt sogar auf eine ganze neue Population solch extremer Objekte schließen, die mit gleicher Rate entstehen wie die eher „normalen“ Millisekunden-Pulsare.
Über dieses aufregende Ergebnis wird in der aktuellen Ausgabe des „Science Express“ berichtet.
Pressinformation des Max-Planck-Institut für Radio Astronomie vom 03.11.2011
Abb. 1: Falschfarbenbild der Gammastrahlung in Richtung des Kugelsternhaufens NGC 6624, aufgenommen mit dem „Large Area Telescope" des Fermi-Satelliten. Links: Pulsar J1823-3021A eingeschaltet; Rechts: Pulsar ausgeschaltet. Aufgrund der großen Entfernung konnte keiner der anderen fünf in diesem Sternhaufen gefundenen Pulsare in Gammastrahlung nachgewiesen werden. Bild: P Freire et al., Science Express
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Wenn der Kernbrennstoff im Inneren von massereichen Sternen aufgebraucht ist, findet ein katastrophaler Kollaps statt, bei dem gleichzeitig soviel Energie freigesetzt wird, dass der Stern kurzzeitig milliardenfach heller strahlt als vorher. Dieses spektakuläre Phänomen wird als Supernova bezeichnet; es markiert auch die Geburt eines Neutronensterns, einer extrem kompakten Neutronenkugel bzw. eines einzigen riesigen Atomkerns mit einem Radius von nur 10 bis 16 Kilometern, jedoch der millionenfachen Masse der Erde. Ein Pulsar ist ein mit hoher Geschwindigkeit rotierender Neutronenstern, der durch seine in Pulsen auftretende Strahlung identifiziert werden kann (das erfolgt normalerweise bei Radiowellenlängen, nun aber ebenso im Gammastrahlungsbereich). Die Strahlung wird dabei durch die Rotation des Pulsars moduliert – ein Effekt ähnlich der rotierenden Lichtquelle eines Leuchtturms. Normale Pulsare haben Rotationsperioden zwischen 16 Millisekunden und 8 Sekunden. Noch schneller rotieren die sogenannten Millisekunden-Pulsare, die Rotationsperioden bis hinunter zu 1,4 Millisekunden haben können – das entspricht 43000 Umdrehungen pro Minute! Hierbei wird angenommen, dass die zunächst niedrigere Rotationsgeschwindigkeit nachträglich durch das Einströmen von Materie von einem Begleiterstern vergrößert worden ist. Diese Theorie wird dadurch unterstützt, dass die meisten Millisekunden-Pulsare in Doppelstern-Systemen gefunden werden.
Millisekunden-Pulsare weisen eine extreme hohe Rotationsstabilität auch auf langen Zeitskalen auf; ihre Ganggenauigkeit lässt sich mit den besten Atomuhren auf der Erde vergleichen. Sie stellen eine Art von gewaltigen Schwungrädern im Weltall dar, wobei so gut wie nichts ihre Rotation beeinflussen kann. Das ermöglicht ihre Verwendung für Tests von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, für die Suche nach Gravitationswellen und für die Untersuchung der Eigenschaften der extrem verdichteten Materie im Inneren der Pulsare.
"Wir haben inzwischen mehr als 100 dieser Objekte mit Radioteleskopen entdeckt", sagt Paulo Freire vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), der Erstautor der aktuellen Veröffentlichung. „Aufgrund der hohen Empfindlichkeit des Fermi-Teleskops waren wir zum ersten Mal in der Lage, einen Millisekunden-Pulsar auch durch seine Gammastrahlung aufzuspüren." Der neu entdeckte Gammastrahlungs-Pulsar, mit der Bezeichnung J1823-3021A, ist in Abb. 1 dargestellt. Die Aufnahme erfolgte mit dem "Large Area Telescope" an Bord des Gammastrahlungs-Satelliten „Fermi".
Kugelsternhaufen sind sehr alte Ansammlungen von Hunderttausenden von Sternen, die durch ihre Schwerkraft aneinander gebunden sind. Darin findet man eine ganze Reihe von Doppelstern-Systemen, die zur Entstehung von Millisekunden-Pulsaren führen können. Einer dieser Sternhaufen ist NGC 6624 in Richtung des Sternbilds Schütze (vgl. Abb. 2). Mit einer Entfernung von ca. 8,4 kpc (das entspricht 27000 Lichtjahren) befindet sich dieser Sternhaufen im Zentralbereich unserer Milchstraße. Insgesamt 6 Pulsare konnten bis jetzt in diesem Kugelsternhaufen gefunden werden; drei davon sind ganz neue Entdeckungen, die demnächst publiziert werden. J1823-3021A ist der erste Pulsar, der in NGC 6624 entdeckt wurde. Mit einer Umlaufperiode von nur 5,44 Millisekunden (das entspricht 11000 Umdrehungen pro Minute) ist es der leuchtkräftigste Pulsar, der bis jetzt in einem Kugelsternhaufen nachgewiesen werden konnte. Seit der Entdeckung dieses Pulsars im Jahr 1994 sind regelmäßig Zeitreihenmessungen mit großen Radioteleskopen durchgeführt worden, insbesondere mit dem Lovell-Teleskop der Universität Manchester/England sowie dem Nançay-Teleskop in Frankreich.
"Zu unserer großen Überraschung haben wir herausgefunden, dass der Pulsar auch in Gamma-Wellenlängen extreme hell strahlt", sagt Damien Parent von der "George Mason University resident at Naval Research Laboratory". Er ist ein führendes Mitglied des Teams, das die Fermi-Daten analysiert hat. „Von diesen Millisekunden-Pulsaren hat man nicht erwartet, dass sie so hell sind und es lässt auf ein unerwartet starkes Magnetfeld bei einem derart schnell rotierenden Pulsar schließen".
"Das bedeutet eine Herausforderung für unsere derzeitigen Theorien zur Bildung solcher Pulsare", stellt Michael Kramer fest, Direktor am MPIfR und Leiter der Forschungsgruppe „Radioastronomische Fundamentalphysik". „Wir untersuchen im Moment eine ganze Reihe von Erklärungsmöglichkeiten. Die Natur könnte sogar Millisekunden-Pulsare auf eine Art entstehen lassen, die wir zur Zeit noch gar nicht auf dem Schirm haben."
"Wie auch immer diese anomalen Pulsare entstehen mögen, eines scheint dabei festzustehen", schließt Paulo Freire. "Zumindest in den Kugelsternhaufen sind das derart junge Objekte, dass sie wahrscheinlich genauso häufig entstehen wie die große Anzahl von bereits bekannten normalen Millisekunden-Pulsaren."
Abb. 2: Kugelsternhaufen NGC 6624 in Richtung des Sternbilds Schütze (Sagittarius). Insgesamt sechs Pulsare wurden bisher in diesem Sternhaufen identifiziert (drei dieser Entdeckungen werden demnächst erst publiziert).
Fermi Gamma-ray Space Telescope: Das Weltraumteleskop „Fermi" der NASA dient zur Untersuchung der kosmischen Gammastrahlung. Es ist ein gemeinsames Projekt der Astrophysik und der Astroteilchenphysik und wird in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen. „Department of Energy" betrieben, mit wichtigen Beiträgen von akademischen Einrichtungen und Partnern in Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Schweden und den USA.
Fermi Large Area Telescope (LAT): Gammastrahlung, der kurzwelligste Anteil im elektromagnetischen Spektrum, ist derart energiereich, dass sie geradewegs durch eine Linse oder einen Spiegel, die Hauptkomponenten eines normalen Teleskops, hindurchgehen würde. Das Hauptinstrument von „Fermi", das „Large Area Telescope" (LAT), funktioniert eher wie ein Teilchendetektor. Wenn ein Gammastrahl das Teleskop erreicht, trifft er auf eine Metallfolie und erzeugt dort ein Paar geladener Teilchen, die weiter durch den Detektor fliegen. Über insgesamt 880000 Siliziumstreifen spürt das LAT diese geladenen Teilchen auf und ermöglicht den Astronomen die Rekonstruktion des Wegs der ursprünglichen Gammastrahlung mit bisher unerreichter Empfindlichkeit und Auflösung. LAT erfasst den ganzen Himmel in jeweils drei Stunden und kann dabei Gammastrahlung in einem Energiebereich von 20 Millionen bis ungefähr 300 Milliarden Elektronenvolt (20 MeV bis 300 GeV) nachweisen. Dabei werden jeweils 20 % des gesamten Himmels auf einmal erfasst.
Weitere Informationen:
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR).
Radioastronomische Fundamentalphysik (Forschungsabteilung am MPIfR).
Fermi Gamma-ray Space Telescope (NASA).
Center for Earth Observing and Space Research (CEOSR).
Naval Research Laboratory (NRL).